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Warschau – die größte Baustelle Europas

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Aktualisiert: 10.04.2019

Vor allem seit 2012, nach der Fußballeuropameisterschaft, und Dank der Mitgliedschaft Polens in der Europäischen Union seit 2004 befindet sich die Stadt im stetigen Wandel. Es werden Büros, Wolkenkratzer und große Wohnviertel gebaut, alte Gebäude werden renoviert oder restauriert, es wird gehämmert und verputzt, die LKWs liefern täglich tonnenweise Beton und anderes Baumaterial und die Gerüste werden ständig auf- und abgebaut. Dieser Wandel ist von Monat zu Monat erkennbar. Ein Ende ist nicht in Sicht. Vielmehr sieht man, dass Warschau für die Baufirmen zu einem Spielplatz geworden ist, auf dem sie sich sehr wohlfühlen. Man kann sagen, dass Warschau, aber auch alle größeren Städte Polens ihre beste Zeit in ihrer Geschichte erleben.

Nachfolgend werden die einzelnen Großprojekte in der Stadt näher dargestellt: Stand: April 2019

Wolkenkratzer 

In Warschau stehen aktuell (Juni 2018) 21 Gebäude, die höher als 100 Meter hoch sind. Davon übersteigen drei die 200-Meter-Marke. Allen voran der Kulturpalast mit 237 Metern, gefolgt vom Warsaw Spire [220m] und dem Warsaw Trade Tower [208m].

Seit der 2012 in Polen und der Ukraine ausgetragenen Fußball-Europameisterschaft wurden in Warschau fünf Gebäude fertiggestellt, die höher als 100 Meter sind:

GebäudeGesamthöheFertigstellungFunktion
Nationalstadion1132012Sport und Kultur
Cosmopolitan Twarda 2/41602013Wohnen
Zlota 441922013Wohnen
Q221952016Büro
Warsaw Spire2202016Büro

Mit der Eröffnung des Bürokomplexes West Station I + II am Westbahnhof hat Warschau die 5-Millionen-Grenze an Büroflächen in Quadratmetern überschritten. Das ist im internationalen Vergleich sehr wenig. Und dennoch ist die polnische Hauptstadt auf dem besten Wege in die europäische Elite.

Die immer sichtbar werdende Skyline  entsteht zwischen den Straßen Marszalkowska und Towarowa. Der westliche Teil liegt im Stadtteil Wola, wo sich bis 1990 das Industriegebiet der Stadt befand. Heute können die Investoren dort billige und brachliegende Grundstücke erwerben. Innerhalb der letzten zehn Jahre hat dieses Stadtviertel eine unglaubliche Transformation erlebt. Die Zukunft gestaltet sich noch interessanter.

Die nachfolgende Karte zeigt die fertiggestellten Wolkenkratzer ab 100 Meter Höhe im Bereich der Warsaw City (oben rechts gibt es die Vollbildfunktion). 

Doch das ist erst der Anfang. Zahlreiche weitere Wolkenkratzer befinden sich im Bau. Unter anderem der Varso Tower, der mit seiner Gesamthöhe von 310 das höchste Gebäude in der EU sein wird. Des weiteren gestaltet sich die Liste der sich im Bau befindenden Wolkenkratzer wie folgt:

GebäudeGesamthöheFertigstellungFunktion
Varso Tower3102020Büro
Spinnaker1802020Büro
Port Praski1602022Wohnen
Skyliner1952020Büro
Mennica Legacy Tower1402019Büro
Generation Park1402019Büro
Spark1302019Büro
The Warsaw Hub1302019Büro
B4 Office Center1202020Büro
Nowa Emilia1962021Büro
Roma Tower1702020Wohnen

Schon jetzt gehört Warschau zu der Top-5 der höchsten Städte Europas neben Städten wie Moskau, London, Paris und Frankfurt am Main. Diese Position wird Warschau in den nächsten sicherlich festigen. 

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Warsaw Spire mit 220m Höhe / A. Władyka / [CC BY-SA 2.0]

Towarowa 22

Für ca. drei Milliarden PLN will Echo Investment an der Towarowa-Straße das letzte Grundstück dieser Größe bebauen. Au 6,5 Hektar entstehen hier ab 2019 Wohnungen, Büros, Dachgärten und Kultureinrichtungen. Der Architekt Bjarke Ingels, der den World Trade Center II in New York entworfen hat, wurde mit diesem imposanten Projekt mitten im Zentrum beauftragt.

Towarowa 22 befindet sich direkt hinter dem Rondo-Daszynskiego, also an der aktuell größten Ansammlung von Wolkenkratzern in Polen.

Wohnviertel

Auch auf dem Wohnungsmarkt herrscht ein Bauboom, welcher seit 5 Jahren anhält. Monat für Monat werden in Warschau ca 600-800 Wohnungen fertiggestellt.

In Stadtviertel Bialoleka im Norden der Stadt sieht man deutlich, wieviel Erde bewegt wird. Die dortigen Gebiete bieten viele Grundstücke, die für relativ wenig Geld zu haben sind. Lebten in Bialoleka 2002 ca. 55 Tausend Menschen, waren es 2012 schon über 98 Tausend. Dabei handelt es sich nur um die angemeldeten. Viele Hinzugezogene melden sich nicht an. Daher schätzt die Stadtverwaltung die Einwohnerzahl auf über 130 000.

Ein weiteres Beispiel ist das Wohnviertel Miasteczko Wilanow (Städtchen Wilanow) im Süden der Stadt in der Nähe des Wilanow-Schloßes. Auf dem 169 Hektar großem Feld lebten 2010 knapp 10 000 Menschen, wovon vielleicht mal 3500 angemeldet waren. Am Ende werden dort sogar 50 000 Menschen Platz finden.

In der Baubranche sind derzeit über 50 000 Bauarbeiter eingestellt und es werden von Jahr zu Jahr immer mehr.

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Die Straße Os. Krolewska im Städtchen Wilanow (Miasteczko Wilanow) / Adrian Grycuk [CC BY-SA 3.0 PL]

Ursa Smart City – ein Megaprojekt

Auf ca. 220 Hektar entsteht im Stadtbezirk Ursus ein Megaprojekt. Wo einst die Firma Ursus Landmaschinen und Traktoren produzierte, werden nun Wohnungen gebaut. Das noch brach liegende Grundstück erwartet eine Neubelebung. Insgesamt entsteht hier eine Nutzfläche von 740 000 Quadratmetern, wovon 450 000 als Wohnfläche genutzt werden sollen.

Die ersten Wohnblöcke wurden 2017 fertiggestellt.

Port Praski – der Hafen von Praga

Das Stadtgebiet rechts von der Weichsel wird allgemein als Praga bezeichnet. Offiziell tragen nur zwei Bezirke diesen Namen. Dort befindet sich das Nationalstadion, der Ostbahnhof und die Galeria-Wilenska. Obwohl dort viel Investiert wird, leben die meisten Menschen dort in einem pathologischen Umfeld. In vielen Reiseführern wird damit geworben, dass Praga während des 2. Weltkrieges nicht zerstört wurde. Zudem sollen hier Künstlerviertel wie in Barcelona, Paris oder Berlin entstehen. Die Bausubstanz ist vorhanden, die Künstler müssen jedoch erst überzeugt werden. Auch sind die erhalten gebliebenen Mietshäuser und Paläste in einem sehr schlechten Zustand, was wiederrum auf die psychologisch sehr schwierigen Zustände der Bevölkerung zurückzuführen ist. Praga ist, als Ganzes, noch nicht soweit. Nach unserer Einschätzung wird der Wunsch eines neuen Ost-Berlins oder eines osteuropäischen Montmartre frühestens in 10 – 15 Jahren in Erfüllung gehen können.

Das wissen auch einige Investoren, die jetzt schon große Bauprojekte ins Leben rufen. Der Port Praski ist eines dieser Projekte. Die Besonderheit liegt in der Nähe zum Wasser. Die neuen Bewohner werden hier hier kleinen Boote und Yachten parken können. Umgeben von Kanälen wird es eine Stadt in der Stadt sein. Der Bau dauert nun schon drei Jahre.

Ausbau der Warschauer Metro

Die Warschauer Metro besteht momentan aus lediglich 2 Linien – M1 und M2. Die M1 durchzieht die Stadt von Nord nach Süd und die M2 von West nach Ost. Die erste Metrolinie wurde 1995 eröffnet, erreichte ihre volle Länge von 23 Kilometern mit 21 Stationen jedoch erst 2008.

Die M2 ist aktuell 6,1 Kilometer lang und hat 7 Stationen.

Verwirklich wird gerade das Projekt 3 + 3 – die Linie M2 wird in beide Himmelsrichtungen um jeweils 3 Stationen erweitert. Die ulica Gorczewska wurde geschlossen, was bis 2019 eine herbe infrastrukturelle Einbuße darstellt. Doch es lohnt sich zu warten, denn ab 2019 verkürzt sich der Weg aus den östlichen und westlichen Stadtvierteln in die Innenstadt erheblich. Zusätzlich wird eine wichtige Hauptschlagader, die eben genannte Gorczewska-Straße, komplettsaniert. Vielleicht ist es jetzt an der Zeit für die Autofahrer auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen.

Der Ausbau soll Ende 2019 abgeschlossen sein. Dann wird die M2 insgesamt 13 Stationen umfassen. Die Baukosten belaufen sich auf 4,1 Milliarden PLN.

Anschließend wird das Projekt 3 + 5 begonnen (3 Stationen Richtung Osten / 5 Stationen Richtung Westen).

Im Jahre 2020 beginnt zudem der Bau der dritten Metrolinie M3, welche am Nationalstadion beginnen wird und in südwestlicher Richtung gezogen wird.

Erneuerung des städtischen Schienennetzes

Mit dem Bau der Metro steht auch die Erneuerung des gesamten Warschauer Schienennetzes im Zusammenhang. Zum einen werden fast alle Schienen neu verlegt, neue Stationen entstehen und es wird, wo es möglich ist, eine Verbindung zwischen der Metro, dem Straßenbahnnetz, dem Busverkehr und dem S-Bahn-Netz hergestellt.

Am Westbahnhof der Stadt wird eine unterirdische Straßenbahnstation gebaut, welche einen direkten Umstieg zur S-Bahn aber auch in den nationalen wie internationalen Schienenverkehr ermöglichen wird. Zeitgleich wird der Süden der Stadt mit dem nördlichen Teil via Straßenbahn erreichbar sein. Bisher musste man ein kleines Stück mit dem Bus oder zu Fuß zurücklegen. Insgesamt will der Straßenbahnbetreiber 30 Kilometer neue Schienen verlegen.

Leider tut sich dahingehend nicht viel. Es ist so gut wie sicher, dass der erste Spatenstich nicht in diesem Jahr (2019) erfolgen wird. Der eigentliche Bau wurde auf die Jahre 2021-2022 gelegt.

Der Weichselboulevard

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Weichselboulevard in Warschau. Im Hintergrund das Nationalstadion / Antoni Wladyka  [CC BY-SA 2.0]

Die Weichsel ist DIE Neuentdeckung des 21. Jahrhunderts in Warschau. Die Königin unter den polnischen Flüssen entwickelt sich zum Lieblingsort der Warschauer – vor allem im Sommer.

Der Weichselboulevard wird auf einer Länge von über 6 Kilometern am westlichen Flußufer komplettsaniert. Abgeschlossen ist in etwa die Hälfte. Genaueres kann man im Beitrag über den Weichselboulevard nachlesen.

Fahrradwege

Als ich im akadmischen Jahr 2008/2009 an der Uni Warschau studiert hatte, wurde jeder Vorschlag einer Fahrradtour abgewunken. Das wurde damals als idiotischer Selbstmordversuch abgestempelt. Mittlerweile hat Warschau das 5-größte städtische Fahrradverleihsystem in Europa  und dank des kommunistischen Baustils – lies: sehr breite Straßen und viel Raum zwischen den Gebäuden – kann man heute in Warschau nahezu überall Fahrradwege verlegen. Allein im Jahr 2017 wurden 100 Kilometer Fahrradwege gebaut.

Warschauer Ringstraße

Diese ist noch nicht ganz fertig – leider. Es fehlen noch ca. 25 % der Gesamtlänge, hauptsächlich der Ost- und Südring. Momentan wird der längste Tunnel in Polen gebaut, damit ein gutes Stück Straße nicht mitten durch Wohnviertel verläuft. In ein paar Jahren kann man dann auf dem über 80 Kilometer langen Ring jeden Ort in der Stadt in kürzester Zeit erreichen.

Die Stadt konzentriert sich aktuell auf den südlichen Abschnitt des Ringes. 2020 soll dieser Abschnitt fertiggestellt sein.

Es bleibt noch viel zu tun

Man muss dabei eines beachten – Warschau benötigt diese Investitionen dringend. In westeuropäischen (Haupt)-Städten sind Ringstraßen, U-Bahn-Strecken und weitreichende brachliegende ehemalige Industrieflächen eher selten anzutreffen. Daher erfreut es, vor allem mich, dass die Stadt diesen Bedarf erkennt und ihn abdeckt. Man sieht, dass das Geld investiert wird und die Bürger der Stadt einen großen Nutzen davon ziehen. Selbstverständlich hat die Finanzierung seitens der Europäischen Union einen großen Anteil daran. Warschau würde solch großangelegte Projekte selber nicht stemmen können. Allein die Metro-Erweiterung könnte sich aus finanzieller Sicht als nahezu unmöglich erweisen.

Und so geht es hoffentlich weiter – es macht Spaß hier zu leben, weil man an der Entwicklung teilnehmen kann.

Am besten Sie überzeugen sich selbst!

Was in vielen Städten Westeuropas sicherlich schon zum Standard gehört, ist in Osteuropa erst seit kurzem möglich. Dabei geht es nicht nur um die finanziellen Möglichkeiten. Denn was nützt eine moderne Infrastruktur, wenn sie niemand benutzt? In Polen entsteht zum ersten Mal in der Geschichte des Landes eine Mittelklasse, welche sogar darauf angewiesen ist eine funktionierende Stadt bewohnen zu können. In dieser Hinsicht muss man diese Entwicklung ebenfalls betrachten und analysieren. Die Nachfrage nach einer Modernisierung der Stadt ist unheimlich groß.

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Kulturpalast in Warschau by A. Władyka / CC BY-SA 2.0

Antoni Administrator
Europäer mit polnischem Herz und deutschem Hirn! Eigentümer des Touristikunternehmens Walking Poland Group, lizenzierter Stadtführer in Warschau, Fotograf, Jurist (1. Staatsexamen), Redakteur
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Antoni Administrator
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