Das Beitragsbild: Das ist ein Historienbild von Jan Matejko. Zu sehen sind die Parlamentsabgeordneten, die sich nach der Unterzeichnung im Warschauer Königsschloss (im Hintergrund) zur Johanneskathedrale in der Altstadt begeben. Der Mann, der die Verfassung hochhält, ist der Marszalek (Vorsitzender) des Sejm Stanislaw Malachowski. Der König von Polen Stanislaw August Poniatowski ist an seinem Königsmantel zu erkennen und befindet sich schon vor dem Eingang zur Kathedrale.
Die politische Elite der Königlichen Republik Polen-Litauen (bis 1795) verkündete der Welt am 3. Mai 1791 die erste moderne Verfassung Europas. Unterstützt wurde sie von der Autorität des Königs von Polen Stanislaw August Poniatowski. Das Dokument wurde im Warschauer Königsschloss von den Abgeordneten des Sejm und des Senat sowie vom König unterzeichnet, Polen wurde eine konstitutionelle Monarchie ohne liberum verto und einer Erbmonarchie (in Polen wurden die Könige seit 1569 gewählt). Der 3. Mai wurde 1919 und erneut 1990 zum Nationalfeiertag bestimmt.
Wer hat´s erfunden?
Man liest überall, dass diese Verfassung die erste ihrer Art in Europa war. Die Briten verdrehen bei solchen Beiträgen oft die Augen, vergessen jedoch, dass sie keine geschrieben Verfassung besitzen.

Korsika 1755-1769
Es gibt in Europa aber noch eine kleine Insel, die schon viel eher auf eine ähnliche Idee gekommen ist, nämlich Korsika. Die Bewohner dieser relativ kleinen Insel haben sich doch glatt schon 1755 eine Verfassung gegeben. Sie ist somit älter als die US-amerikanische von 1787, die nach dem Unabhängigkeitskrieg feierlich verkündet wurde. Doch die Korsen hielten den Machtbestrebungen Genuas und später Frankreichs nicht stand. Nachdem die Genuesen die Insel an Frankreich verkauften, schifften diese gleich Soldaten rüber, bekämpften die Feinde der Monarchie und inkorporierten die Insel 1769. Als ob es schon vorher geplant gewesen wäre, wurde auf der Insel im gleichen Jahr Napoleon geboren, der sich etwas später als Korse eigenhändig zum Kaiser der Franzosen krönte. Vorher gab es aber noch die Republik, die sich am 3. September 1791 ebenfalls eine geschriebene Verfassung gab. Durch gezielte Maßnahmen wurde die korsische Verfassung ins historische Archiv gelegt und für viele Jahre vergessen. Ein Großteil der Franzosen glaubt bis heute, dass sie die erste Verfassung Europas verkündet haben. Es heißt ja nicht umsonst Grand Nation.

Hier wurde die Verfassung 1791 bestätigt.
Die polnische Verfassung wurde am 3. Mai 1791 verkündet. Sie wurde natürlich nicht, wie das seit einigen Jahren in der 3. Republik Polen bei Gesetzesinitiativen und -änderungen üblich ist, in einer Nacht auf den Knien geschrieben. Der Verfassung vom 3. Mai 1791 gingen viele Jahre intensiver Arbeit zahlreicher kluger Köpfe voraus. Unterstützung bekamen die Denker von der aufgeklärten Magnaterie und allen voran vom weitblickenden König von Polen Stanislaw August Poniatowski. Sie schufen gegen den Widerstand der Verteidiger polnischer Traditionen und der Goldenen Freiheiten und trotz politischen wie militärischen Drucks aus Russland sowie Preußen das wichtigste Werk des polnischen Parlamentarismus und eines der wichtigsten Dokumente europäischer Geschichte. Damit es soweit kommen konnte, nutzten die Initiatoren die Osterpause, als sich die Mehrheit der Opposition weiterhin außerhalb von Warschau aufhielt. 182 Abgeordnete haben dem Werk im einfachen Wahlmodus zugestimmt. Schon nach der ersten Lesung. Die rechtswidrige Mogelei sahen sie als notwendiges Übel, um Polen aus der politischen Ausweglosigkeit herauszubekommen.
Während die Franzosen zur europäischen Macht aufstiegen und ganz Europa überrannten, den Polen die Sterne vom Himmel versprachen und am Ende die Weltgeschichte maßgeblich beeinflußten, mussten sich die Polen ohne eigenem Staat als Untertanen des russischen Zarenreiches, Österreichs und Preußens zufriedengeben. Und wir wissen alle, wer die Geschichte schreibt. Polen war es nicht. Aber Fakten sind halt Fakten, auch wenn das in heutiger Zeit nicht immer ausreicht.

Das führt dazu, dass die Führungen mit französischen Touristen in Warschau auch mal eine halbe Stunde länger dauern. Der Diskussionsbedarf ist ziemlich hoch und geht sogar über die Verfassungsproblematik hinaus. Was sich die Stadtführer nicht alles anhören müssen, wenn sie rücksichtslos erwähnen, dass Sigismund III. Wasa und nicht Napoleon der erste war, der in Moskau einmarschiert ist, dass Frédéric Chopin in Wahrheit ein Französisch sprechender Pole ist und dass die erste Frau im französischen Pantheon ebenfalls eine Polin ist, die in der Warschauer Altstadt geboren ist.
Und bitte merkt Euch eins: Nicht alles so ernst nehmen.
Und wie sieht es mit der Qualität aus?
Eine Verfassung zu schreiben ist nicht einfach. Auf relativ wenigen Seiten soll das ganze politische System von Millionen von Menschen basieren. Ob also eine Verfassung ihre Aufgabe erfüllt, kann man erst nach ein paar Jahren oder Jahrzehnten feststellen. Die Verfassung der USA besteht nun seit über 200 Jahren und obwohl sie durch zahlreiche Amendments ergänzt wurde, gilt sie als eher gelungenes politisches Projekt.
Auch das deutsche Grundgesetz hat die Feuerprobe bestanden und konnte relativ problemlos in die neuen Bundesländer eingeführt werden.
Die polnische Verfassung vom 3. Mai 1791 existierte lediglich zwei Jahre und das in einem Umfeld von Chaos und Krieg. Es wurden jedoch zwei wichtige Fragen nicht gelöst. Die Leibeigenschaft wurde nicht abgeschafft und es wurde eine Staatsreligion eingeführt. Es war verboten die römisch-katholische Kirche zu verlassen und wurde bestraft. Die Verfassung war auch für damalige Verhältnisse sehr konservativ. Modern und aufgeklärt sah anders aus.
Das verfassungspolitische Erbe
Die Verfassung vom 3. Mai 1791 wurde durch militärisches Einschreiten Russlands und Preußens 1793 für ungültig erklärt. Als Strafe teilte man Polen-Litauen nach 1773 erneut. Die dritte und endgültige Teilung erfolgte 1795. Der Sejm wurde sogar dazu gezwungen die Auflösung des polnisch-litauischen Staates eigenhändig zu unterschreiben. Poniatowski dankte ab und verbrachte seine letzten Lebensjahre in Petersburg. In jener Zeit entstand Polens Nationalhymne, die verkündet, dass Polen noch nicht verloren ist, solange wir leben.
Erst nach 123 Jahren entstand auf den drei Teilungsgebieten die 2. Republik Polen. In der Zwischenkriegszeit gab es zahlreiche kleinere, unvollständige oder systemverändernde Verfassungen, die alle synchronisiert werden mussten. 1919 brach der Krieg mit den Bolschewisten aus und 1926 folgte ein Bürgerkrieg, den der Gründervater der Republik Jozef Pilsudski für sich entscheiden konnte. Die politische Umgebung war alles andere als fördernd für die Schaffung von Vertrauen innerhalb der eigenen Bevölkerung. Aber so waren halt die Zeiten.
Die volksrepublikanische Verfassung von 1952 kann man sich schenken.
Und heute? Die letzte Verfassung von 1997 wurde bisher nur drei Mal angepasst. Es gibt kaum rechtliche Fragen, die zum Verfassungsgerichtshof geschickt werden. Als ob die Verfassung fehlerfrei wäre.
Die Politiker von heute haben große Verständnisprobleme von Fragen verfassungsrechtlicher Art. Jeder interpretiert den Verfassungstext nach eigenem Ermessen. Das verfassungsrechtliche Chaos zeigt, wie schwierig es ist eine funktionierende Demokratie aufzubauen. Aber das ist nun auch ein anderes Thema, über welches ich im Ansatz im Beitrag politicum absurdum – Polens Politiker in Coronas Zeiten – berichtet hatte.
durch zahlreiche Ammendments – Amendments
Bitte überprüfen:
Und wie sieht es mir der Qualität aus?