Am 29. Oktober 1611 huldigte der Zar von Russland Wassili IV. dem polnischen König Sigismund III. Wasa im Warschauer Königsschloß. Im Senatssaal kniete der Zar vor der polnischen Krone nieder, legte seine rechte Hand auf den Boden und küßte sie. Anschließend hielt ihm der König von Polen wiederrum seine Hand vor, welche Wassili ebenfalls küßte. Der russische Kniefall von Warschau war ein Symbol der Überlegenheit Polens zwischen Oder und dem Uralgebirge. Wirtschaftlich, militärisch, politisch und kulturell dominierte die Rzeczpospolita Polska auf diesem Gebiet des europäischen Festlandes.
Das Königreich Polen im 17. Jahrhundert
Das klingt etwas verwunderlich, insbesondere für die, die meinen, Polens Geschichte fing erst 1918 mit der Wiedererlangung der Unabhängigkeit an. Doch das Wort Wiedererlangung impliziert, dass Polens Staatsgeschichte eine längere Geschichte haben muss. Das oben beschriebe Ereignis scheint den Hauptakteuren vertauschte Rollen aufzuzwingen. Allerdings ist nichts davon vertauscht. Anfang des 17. Jahrhunderts gehörte das Königreich Polen zu den mächtigsten und einflußreichsten Ländern östlich der Oder. In jener Zeit war nicht Polen das Opfer des europäischen Machtkonzertes, sondern Spieler mit vielen Jokern.
Der Mann des Tages

Bei der Huldigung war die gesamte politische wie militärische Führungselite des Königreiches anwesend. Der König, der Primas von Polen, Bischöfe, Wojewoden, Abgeordnete des Sejm, Senatoren sowie die Großhetmans der polnischen Krone und des Großfürstentums Litauen. Unter ihnen war auch der Hetman Stanisław Zolkiewski, der dieses Ereignis durch sein großes militärisches Talent erst möglich machte. Sein Enkel Jan III. Sobieski wird 1683 als König von Polen die türkische Streitmacht bei Wien zurückschlagen. Das militärische Talent kam höchstwahrscheinlich von ihm. Zolkiewski war es, der am 04. Juli 1610 in der Schlacht bei Kluschino mit nur ca. 3000 Flügelhussaren (Hussaria) eine russische Übermacht von über 35 000 Soldaten niederschlug und sich so den Weg nach Moskau freikämpfte. Die Zarenhauptstadt wurde am 12. September 1610 nach zahlreichen Verhandlungen mit den russischen Bojaren „feierlich eingenommen“. Zuvor hatte er die wichtigste Festung Smolensk erobert, die bis heute entscheidend ist für die Beherrschung des osteuropäischen Flachlandes.
Tag der Einheit
Bei den Verhandlungen wurde beschlossen, dass Wladyslaw, der Sohn von Sigismund III. Wasa, zum Zaren von Russland gekrönt wird, sobald er vorab vom Katholizismus zum russisch-orthodoxen Glauben konvertiert. Hier liegt mitunter ein Grund der nicht genutzten Überlegenheit Polens im russisch-polnischen Krieg von 1609 bis 1618. Sigismund III. Wasa war Erzkatholisch und ein großer Unterstützer des Jesuitenordens. Der Konvertierung seines Sohnes wollte er nicht zustimmen und beanspruchte den russischen Thron für sich. Seine politische Leitidee war eine Personalunion zwischen Russland, Polen und Litauen. Auf diese Weise wollte er den privaten Krieg um die Krone Schwedens für sich entscheiden. Die verschiedenen Sichtweisen führten zu Streitigkeiten innerhalb des polnischen Lagers und letztendlich zur Vertreibung der Polen aus Moskau am 7. November 1612. Die Befreiung Moskaus von den polnischen Truppen wird in Russland wieder seit 2005 am 4. November als Tag der Einheit gefeiert. Vom russischen Kniefall in Warschau wird dabei natürlich nicht gesprochen.
Gier ist auch eine Sünde
Sigismund III. Wasa träumte auch von der Einheit der polnischen, schwedischen und russischen Kronen in einer, also seiner Person. Er wollte ein Großreich ohne seinesgleichen in Europa schaffen. Gekommen ist es jedoch anders, sonst hätten Sie diese Geschichte nicht zum ersten Mal gelesen. Doch die Gier überstieg die Möglichkeiten seines Königreiches und vor allem des Willens des polnischen Parlamentes und des Adels.
Polen hatte damals einen geostrategischen Fehler mit weitreichenden Konsequenzen gemacht. Anstatt die Macht und Stärke voll auszunutzen und den damals schwachen Konkurrenten in dieser Region zu eliminieren, ließ man davon ab. Es fehlte einfach die realpolitische Kaltblütigkeit derjenigen, die später das polnische Königreich in drei Teilungen unter sich aufteilten wie ein Stück Torte.
Der russische Kniefall

Hetman Zolkiewski führte seine Gefangenen von der Prachtstrasse Krakowskie-Przedmiescie aus kommend durch einen Triumpbogen, der speziell für dieses Ereignis aufgestellt wurde, zum Königsschloßp in Warschau. Neben dem Zaren Wassili IV. waren auch seine Frau Katharina, sein Bruder und Feldherrr der russichen Armee Dimitr sowie sein zweiter Bruder und Nachfolger der Zarenkrone Iwan anwesend. Nach dem Kniefall Wassilis berührte Dimitr den Boden mit der Stirn. Iwan schlug sogar drei Mal mit der Stirn auf den Senatsboden und fing sogar an zu weinen. Der Zar versprach das polnische Königreich nie wieder anzugreifen.
Nach der Huldigung wurden die eroberten russischen Standarten vor die Füße des Königs geworfen.
Das Los des Zaren
Wassili IV. von Russland verstarb am 12. September 1612 in Gostynin in der Nähe von Plock. Nur eine Woche später verstarben seine Frau und sein Bruder Dimitr unter rätselhaften Umständen. Nach offiziellen Angaben verstarben alle Betroffenen an einer ansteckenden Krankheit. Es gibt viele Vermutungen über den tatsächlichen Tathergang. Eine sagt, dass der Mordauftrag von Michail I. Romanov kam. Er sollte in Moskau zum rechtmäßigen Zaren gewählt werden, nachdem die Wahl von Wladyslaw nicht anerkannt wurde. Damit ein neuer Zar gewählt werden konnte, musste der alte zunächst verschwinden, lies: sterben.
Die leiblichen Überreste Wassilis gelangten schließlich 1635 zurück nach Moskau, wo er am 11. Juni 1635 in der Erzengel-Michael-Kathedrale auf dem Kreml beigelegt wurde.
Beitragsbild: Der Kniefall von Wassili IV. vor dem König von Polen Sigismund III. Wasa
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