Es gibt in Polen Gemeinden, die zu sogenannten LGBT-Freie-Zonen ausgerufen wurden (und der ein oder andere hat sicherlich schon mal in den Geschichtsbüchern von anderen „freien Zonen“ gelesen). Dieses Vorgehen, so behaupten die politischen Entscheidungsträger, sei nicht gegen die Personen als solche, sondern gegen die LGBT-Ideologie gerichtet. Für mich persönlich ist es Grund genug jene Gemeinden zu meiden. Es ist mir egal mit welchen Wortspielen und Euphemismen man die Entscheidung dreht und wendet, diese Formulierung ist abartig und einem Land und Gesellschaft mit diesen historischen Erfahrungen unwürdig. Von da ist es nämlich nicht mehr weit zur ausgebauten Minderheitendiskriminierung, gesellschaftlichem Ausschluss und Gewalt. Die Europäer können darüber wie kaum ein anderer Kulturkreis ganze Bibliotheken füllen. Doch hier scheint Hegel dann doch Recht zu haben: Geschichte wird nicht erzählt, sondern erklärt.
Wieso jetzt?
Als Michelle Foucalt im Oktober 1958 nach Warschau zog, mietete er in der Chmielna-Straße, dem Zentrum für die Homosexuellen in Warschau, eine Bleibe. Er wurde selbstverständlich vom polnischen Sicherheitsdienst beobachtet. Aber er unternahm keine gegen das kommunistische System gerichteten Schritte. Und dennoch wurde er nach knapp einem Jahr „gebeten“ das Land zu verlassen. Foucault ging nach französischem Vorbild etwas zu offen mit seiner Homosexualität um und zeigte sie, womöglich unbewusst, zu beherzt (nach sozrealistischer Ansicht) in der Öffentlichkeit. Homosexualität war in der Volskrepublik Polen ein offenes Tabuthema, strafrechtlich bestraft wurde sie allerdings schon seit 1932 nicht. Warum auch? Sie stellten keine Gefahr für die Stabilität des Systems dar.
Aus dieser Geschichte folgere ich zwei Aspekte: Homosexualität ist ein Thema, welches in vielen Ländern schon wirklich vor langer Zeit zur Privatangelegenheit konvertiert wurde. In Polen dauerte es etwas länger, aber noch nicht mal die Kommunisten hetzten systematisch gegen Andersliebende wie man es heute in ganz Polen beobachten kann.
Wieso kommt es also im freien Polen, dreißig Jahre nach Ende des Kommunismus, 16 Jahre nach dem Beitritt in die Europäische Union, in einer vor Jahrzehnten unvorstellbaren Epoche offener Grenzen für Waren, Dienstleistungen und Personen zu einer wohlwollenden Behandlung rechter Gruppierungen, die sich für die Entrechtung von Homosexuellen aussprechen, durch die Kirche und staatliche Institutionen? Woher kommt die paranoide Angst vor Menschen, die schlichtweg eine andere sexuelle Orientierung haben?
Homophobe Menschen gab es und wird es noch lange geben. Jemand, der glaubt, dass Homosexualität eine Krankheit ist und durch Berührung übertragen werden kann, ist selber nur schwer heilbar, aber stellt als Einzelfall keine Gefahr für die Minderheit dar. Es wird dann jedoch vorausgesetzt, dass aus dem Einzelfall nicht ganze Gruppen, Vereine und sogar politische Parteien entstehen. Und diese Entwicklung ist in Polen aktuell zu beobachten. Die Schuld dafür liegt evident auf der Seite der regierenden Recht und Gerechtigkeit. Deren Politiker sprechen zwar nicht direkt aus, dass sie gegen die LGBT-Personen sind, aber sie sprechen sich nicht ostentativ gegen die gewalttätigen Angriffe gegen LGBT-Personen aus. Und sie hätten die Pflicht dazu!
Eine Untersuchung soll Licht ins Dunkel bringen
Im Rahmen des Warschauer Bürgerbudgets soll eine Untersuchung finanziert werden, die die Situation von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transsexuellen aufhellen soll. Auf Basis der Ergebnisse werden Projekte entstehen, die den Betroffenen helfen helfen sollen sich in einer Situation zurechtzufinden und die Bevölkerung aufklären sollen. Nein, Homosexualität ist nicht ansteckend (auch so etwas gibt es noch im 21. Jahrhundert). Aktuell gibt es keinen seriösen Lagebericht über die Situationen der LGBT in Warschau, geschweige denn in Polen.
Man kann also nur die Betroffenen selbst befragen. Und hier hat Warschau eine besondere Rolle eingenommen. Wird man schon von seiner Oma aus dem Haus geworfen, weil man lesbisch oder schwul ist, dann ist Warschau oder das Ausland die erste Anlaufstelle. Ein Weg um den LGBT-Personen besseren Schutz zu gewähren, war die Verkündung einer LGBT-Erklärung, eine Art Bekenntnis zur aktiven Gegenwehr gegen die Homphobie. Die städtischen Regierungen sind nahezu ohne Ausnahme LGBT-freundlich gesinnt. Aber auch hier kommt es zu Zwischenfällen. Abstrakt betrachtet ist es traurig, dass man zu solchen Bekenntnissen gezwungen wird.
Wer die Geschehnisse in Polen beobachtet, der merkt, dass das ein schmutziges politisches Spiel ist, um die Stimmen der konservativen PiS-Wähler zu erhalten. Die regierende PiS nutzt die weltanschauliche Schwäche ihrer eigenen Wähler, um die nächsten Wahlen zu gewinnen. Mit den Flüchtlingen hat es nicht geklappt, gegen die oppositionelle Elite ebenfalls. Jetzt müssen Minderheiten hinhalten. Dabei bringt die Politelite einen sehr gefährlichen Ball in sehr gefährlichen Zeiten ins Rollen.
Warschau, der Vorreiter
Es gibt sie immer und überall, frustrierte Homophoben, unzufriedene Anti-Demokraten oder hirnlose Provokateure, in Paris, London oder Berlin. Es geht sogar soweit, dass im kleinen Städtchen Swidnik zum zweiten Mal eine Kinderkrippe beschädigt wurde, weil im Namen der Einrichtung das Wort „tecza“, also Regenbogen, auftaucht, denn die Krippe heißt Teczowy Domek (Das Regenbogen-Häuschen). Auch in Swidnik wurde vom Stadtrat ein Anti-LGBT-Beschluss beschlossen.
Man darf jetzt nicht daraus schließen, dass ganz Polen ein homophobes Land ist. Glaubt mir, dann hätte ich Polen und Warschau schon längst den Rücken gekehrt. Vielmehr ist entscheidend, wie die Mehrheit auf unwürdige Vorfälle reagiert. Und Warschau hat schon mehrmals gezeigt, dass es das Feld nicht vor den Chaoten, die allährlich am 11 November, dem Unabhängigkeitstag Polens, einen menschenunwürdigen Marsch des Hasses veranstalten, räumen wird. Ein gutes Beispiel dafür war die Attacke gegen einen polnischen Professor in einer Straßenbahn. Er wurde von einem polnischen Passagier angepöbelt, es kam sogar zu Handgreiflichkeiten. Der Grund: der Professor sprach mit einem Mitreisenden auf Deutsch. Unfassbar, nicht wahr? Die Reaktion der Warschauer war für mich der Beweis dafür, dass ich in der richtigen Stadt wohne und lebe. Am nächsten Tag organisierte man sich über die Social Media und sprach in allen öffentlichen Verkehrsmitteln in anderen Sprachen, sodass es jeder hören konnte. Das war das richtige Zeichen gegen den verstandeslosen Angriff vom Tag zuvor. Das ist Warschau, welches mir nahe steht.
Auch für die LGBT-Personen setzt man sich ein. In Kürze soll ein Interventionshostel für LGBT-Personen eröffnet werden. Das ist die Erfüllung einer anderen LGBT-Erklärung des derzeitigen Stadtpräsidenten Rafal Trzaskowski. In der Warschauer Erklärung LGBT+ hat er sich politisch verpflichtet in Sachen der Sicherheit, Kultur, Sport, Arbeit und Verwaltung die Situaton der LGBT-Personen zu verbessern.
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