Neben meiner Tätigkeit als Blogger leite ich ein kleines Touristikunternehmen. In Corona-Zeiten sind meine Einnahmen um 100 Prozent gefallen. Was bekommen in Polen ansäßige Kleinunternehmen in solchen Zeiten? Und wie steht es um den Kapitalismus nach polnischem Muster?
Ale der Freitag der 13. seinem Ruf alle Ehre machte
Am 14. März um 8 Uhr sollte ich meine ersten Gäste aus Deutschland begrüßen dürfen. Zunächst würden wir mit dem Reisebus durch die Gegend düsen, Wolkenkratzer bestaunen, den Kulturpalast umfahren und schließlich auf dem Königstrakt anhalten, aussteigen und zum Abschluss noch die wundervolle Altstadt besichtigen. Die Winterpause war vorbei. Ich war überglücklich und weil ich es kaum noch aushalten konnte, bin ich dann doch noch eine Runde laufen gegangen. Und da passierte es. Es war Freitag der 13. Das war mir gar nicht bewußt, weil man in der Tourismusbranche sowieso nur zwei Zeiten kennt: Saison und Keine-Saison. Doch jetzt sollte die Keine-Saison-Periode ungewohnt länger dauern. Während meiner Dehnübungen las ich die Schreckensmail. Polen wurde unter Quarantäne gestellt. Mir ging die Puste aus. Die Welt bewegt sich mittlerweile auf Ende Mai zu und immer noch habe ich keine Touristen gesehen. Überhaupt habe ich die Altstadt seit zwei Monaten nicht gesehen. Ich hätte nicht gedacht, dass sie mir jemals fehlen würde. Die Telefone liefen heiß. Touristen sagten alle Führungen und Projekte ab. Stadtführerkollegen fragten nach Rat. Firmen, mit denen ich nun seit Jahren zusammenarbeite, schlossen ihre Pforten ohne Gewißheit auf Rückkehr.
Haste mal nen Zloty?
Es passiert selten, dass man wissen will, was Politiker in Polen zu sagen haben, weil man der Kauderwelsch nur schwer nachvollziehen kann. Doch dummerweise waren sie es, auf die wir alle nun angewiesen waren. Das einzige, was man aus den Diskussionen heraushören konnte, war die Tatsache, dass der polnische Staat Gelder auf den Markt bringen würde. Es war jedoch unklar, wer davon profitieren sollte und vor allem, ob es reichen sollte, um das Unternehmen irgendwie am Laufen zu halten. Natürlich wollten die Unternehmer so viel wie möglich. Die Politiker hingegen schienen sehr vorsichtig an die Sache ranzugehen. Schließlich wurde ein sogenanntes Anti-Krisen-Schirm-Gesetz erlassen, welches die Voraussetzungen für den Erhalt staatlicher Hilfe regeln sollte. Leider war das erste Projekt von so vielen Fehlern durchsiebt, dass man die urpsprüngliche Version unzähliche Male anpassen musste.
Keine Sozialabgaben
Die erste erfreuliche Nachricht war, dass die Unternehmer zunächst drei Monate lang keine Sozialabgaben entrichten mussten. Die Bfreiung sollte im März beginnen. Grundsätzlich werden diese Gelder von der Sozialen Versicherungsanstalt (ZUS) verwaltet. Dabei handelt es sich um die Renten-, Kranken-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung. Jeder Unternehmer hat eine eigene Kontonummer, auf welche er jeden Monat im Normalfall 1431,48 PLN überweisen muss. Die Einzahlung muss stets bis zum 10. eines jeden Monats erfolgen, weshalb alle so schnell wie möglich erfahren wollten, ob sie vom Rettungsschirm umfasst werden. Ende März gab es immer noch keine eindeutige Stellungnahme der Regierung. Sollte jemand nicht von den Regelungen profitieren können, hat er immer noch die Möglichkeite die Firma auf unbestimmte Zeit einzufrieren. Der Nachteil eines solchen Vorgehens ist, dass man nach einer Übergangszeit von 30 Tagen nach der Einfrierung nicht mehr krankenversichert ist. Zwar garantierte ein Regierungssprecher, dass man bei einer Ansteckung mit dem Corona-Virus trotzdem behandelt werden würde. Das könnte aber auch bedeuten, dass man später zur Kasse gebeten wird?
Die Summe von 1431 PLN, die Unternehmer zahlen müssen, ist der Normalfall und zudem unabhängig von der Höhe der Einnahmen. Ob man 1000 oder 100 000 PLN im Monat verdient ist also erstaunlicherweise irrelevant. Für die meisten der knapp 2 Millionen Einzelunternehmer in Polen ist das jedoch relativ viel Geld.
Als nun endlich das Finanzpacket beschlossen wurde, gab es zahlreiche Definitionsschwierigkeiten. Eine Voraussetzung war, dass die Firma vor dem 1. Februar 2020 geführt worden sein muss. Hier hatten einige Angst, dass sie wegen der Einfrierung der Unternehmung im Januar 2020 von der Finanzspritze ausgenommen waren. Das war bei mir der Fall. Von November bis Ende Januar mache ich immer saisonbedingt zu und starte wieder ab dem 1. Februar. Wie gesagt: Saison und Keine-Saison. Um herauszufinden, wie das nun aussieht, rief ich doch mal auf eine explizit für Fragen über den Rettungsschirm geschaffene Hotline an. Ich war 775. in der Reihe. Jede halbe Minute wurde ich über meine Position benachrichtigt, bis sich nach 5 Stunden (ich war 95.) die nette Stimme entschuldigte, verabschiedete und bat, im Notfall eine Nachricht zu hinterlassen. Dafür möge man bitte die 1 Drücken. Ich tat wie man befahl. Und was geschah? Die Nachricht konnte leider nicht aufgenommen werden, weil die Mailbox voll war. Bitte versuchen Sie es ein anderes Mal!
Bisher habe ich noch nichts vom ZUS gehört. Gemäß meinem Online-Profil stehe ich mit meiner Zahlung seit April im Verzug. Da der Antrag online gestellt wurde, soll auch die Antwort dorthin geschickt werden. Im Moment kann ich also nur hoffen, dass ich weiterhin versichert bin und dass ich nicht irgendwann dann doch nachzahlen muss.
Stillstandsgeld
Neben der Befreiung von der Zahlung der Sozialabgaben konnte man einen Antrag auf Auszahlung eines sogenannten Stillstandsgeldes stellen. Maximal erhält man aus dieser Kasse 2080 PLN, also 80 Prozent des Minimallohnes in Polen. Dieses Geld erhält man direkt auf das im Antrag angegebene Privatkonto. Es soll die durch den Virus verursachten Verluste rekompensieren. Anfangs durfte man nur einen Antrag stellen. Später erweiterte man diese Möglichkeit auf drei Anträge für die Monate März, April und Mai. Voraussetzung war hier unter anderem, dass die Einnahmen in dem Monat, für welchen man den Antrag stellte, um mindestens 50 Prozent im Vergleich zum Vormonat gefallen sind. Bei mir war es ziemlich eindeutig. Dieses Geld habe ich erhalten. Den zweiten Antrag habe ich auch schon gestellt.
Kredit ohne Rückzahlungspflicht
Im Mai gab es dann noch eine weitere erfreuliche Nachricht. Die Regierung hat einen Kredit eingeführt, welchen man unter bestimmten Voraussetzungen nicht abbezahlen muss. Im Unterschied zu den vorherigen Anträgen hat der Beamte in diesem Fall keinen Ermessensspielraum. Das Geld muss ausgezahlt werden, sobald der Antrag eingegangen ist. Die Höhe bestimmt der Antragsteller selbst. Es dürfen maximal 5000 PLN sein. Die einzige Voraussetzung ist, dass das Unternehmen drei Monate nach Erhalt des Geldes nicht eingefroren wurde. Das Geld soll auch nur im Zusammenhang mit der Firma ausgegeben werden. Nachweisen muss man angeblich nichts. Es wird trotzdem jedem geraten, die Quittungen aufzuheben. Auch hier weiß man nämlich nicht, ob die Beamten nicht irgendwann Nachforschungen unternehmen und sich das Geld dann doch wiederholen.

Reicht es?
Und hier liegt der Haken. Meine Situation ist ziemlich überschaubar, weil ich so gut wie keine Ausgaben habe, wenn es mal gar nicht läuft. Und jetzt läuft sogar nichts. 2080 PLN ist sogar in Warschau ausreichend, wenn man nur das nötigste kaufen muss, sprich Lebensmittel und Kosmetika. Vorausgesetzt, man zahlt keine Miete, hat kein Auto und die einzigen Kosten sind die Nebenkosten, Internet und die Handyrechnung. In meinem Haushalt sind wir zu zweit und haben auch beide ein Unternehmen. Dieses Geld erhalten wir also doppelt. Mit der Möglichkeit des Kredites ohne Rückzahlungspflicht scheint die Lage bis August oder sogar September sogar gesichert.
Insgesamt kann man aktuell auf maximal etwas über 15 500 PLN hoffen, wovon 4293 PLN die nicht zu bezahlenden Sozialabgaben darstellen. Das sind knap 3800 EUR für drei Monate und bei einer gewiß sehr langwierigen Rückkehr zu den guten alten Zeiten.
Aber: hat man weitere Zahlungsverpflichtungen oder noch dazu einen Kredit, dann wird es sehr schmerzhaft. Und einen traurigen Abschluss haben die Situationen, in denen zusätzlich noch Angestellte ins Spiel kommen, denen man plötzlich keine Löhne mehr zahlen kann. Stellt man nämlich Leute ein, bleibt einem sogar die Möglichkeit der Einfrierung des Unternehmens verwehrt. Und wenn erwachsene Menschen, die man schon lange kennt, am Telefon vor lauter Frust beginnen zu weinen, dann weiß man seine eigene Lage erst zu schätzen. Ich habe nicht viel, aber mein ganzes Umfeld hat Probleme, welche man sogar seinem größten Feind nicht wünscht. Einige müssen noch ihre Eltern verpflegen. Andere müssen ihre Wohnung kündigen, Klamotten zusammenpacken und zu ihren Eltern in die Provinz ziehen. Schmerzlich sind auch diejenigen Fälle, wenn jemand sein Unternehmen nach 13 Jahren schließen muss. Ob man sich darauf hätte vorbereiten können, ist eine andere Sphäre der Erkenntnis.
Der Frust ist spürbar
Am letzten Wochenende gab es in Warschau auf dem Königsschlossplatz eine Demonstration von Unternehmern, die sich nicht mehr weiter zu helfen wissen. Nach neun Jahren Aufenthalt in Warschau habe ich wirklich zahlreiche Demonstrationen beobachtet. Doch warum hat die Polizei ausgerechnet gegen diese zu Recht frustrierten Unternehmer Tränengas eingesetzt, Demonstranten mit Pauken geschlagen und sogar einen Senator, der Immunität genießt, unangemessen behandelt? Selten habe ich ein so hohes Maß an Brutalität seitens der Polizei gesehen.
Und diese Demo ist erst der Anfang. Was der Staat auf dem Markt pumpt, ist einfach nicht ausreichend. Dass ich diesen Beitrag in Ruhe schreiben kann, habe ich einer äußerst glücklichen Situation zu verdanken. Und selbstverständlich bin ich dankbar diese Finanzspritzen erhalten zu haben. Doch es tut im Herzen weh zu sehen, wie andere wegen des wirtschaftlichen Stillstands nach zwei Monaten am Rande der Verzweiflung stehen.
Kapitalismus à la Polska
Am Anfang des Beitrages habe ich mich gefragt, wie es um den Kapitalismus nach polnischer Machart beschert ist. In Polen hat man sich an die Schwäche des Staates gewöhnt. Seit über 300 Jahren wird dieses Land entweder von ungeladenen Gästen verwaltet oder von unfähigen Regierungen regiert. Die großen Errungenschaften politischer, wirtschaftlicher oder gar kultureller Natur haben wir der polnischen Nation zu verdanken. Die Unabhängigkeit 1918, der Widerstand während des 2. Weltkrieges und die Solidarnosc waren so erfolgreich, weil es trotz der herrschenden Mächte und Dank der Widerstandsfähigkeit der Polen geschah. 30 Jahre sind im Vergleich dazu nicht ausreichend, um das Vertrauen in alle staatlichen Institutionen wiederzuerlangen. Dieses staatliche Unvermögen ist zugleich jedoch der Grund, warum der Kapitalismus hierzulande so un-solidarisch sein Unwesen treibt. Das Motto der Gesellschaft lautet „Der zweite ist der erste Verlierer“. Der wirtschaftliche Kollaps hätte ein Umdenken einleiten können. Dem steht jedoch paradoxerweise die Staatslenkung selbst im Wege, obwohl sie im Kampf gegen den Virus im Großen und Ganzen einen guten Job macht. Warum sie das an anderen Fronten demoliert und die Arbeit der Nation zu Grunde richtet, ist mir ein Rätsel.
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