Land und Leute

Jan Karski, der polnische James Bond

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Auf dem Platz vor dem Museum der Geschichte der polnischen Juden POLIN im Warschauer Stadtviertel Muranow, welches bis 1939 vor allem von Juden bewohnt war (sogenanntes Nördliches Viertel) und ab Oktober 1940 den Großteil des Jüdischen Ghettos ausmachte, sitzt auf einer Bank, in Bronze gegossen, ein älterer Herr. Auf der rechten Armlehne liegt ein Buch mit dem Titel „Story of a Secret State“. Nur einige Meter weiter befindet sich das Denkmal der Helden des Ghettos, vor welchem Willy Brandt 1970 niederkniete. Bevor ich mit meinen Reisegruppen über den Holocaust, die Juden in Polen und Warschau, den Antisemitismus in Europa und Polen, damals wie heute, Janusz Korczak, den Willy-Brandt-Kniefall, die Endlösung der Judenfrage, Treblinka und Vergasung, die heutigen Verhältnisse und natürlich über das Museum, welches auf dem Grundstück des KZs Warschau steht, erzähle, mache ich zunächst Halt bei Jan Karski, dem polnischen James Bond. Eine außergewöhnliche Persönlichkeit! Bekannt ist er vor allem dafür, dass er einer der ersten Augenzeugen des Holocaust war und dieses Thema in die Salons der großen Politiker brachte.  

Heute jährt sich Jan Karskis Geburtstag. Er ist am 24. Juni 1914 in Lodz geboren und verstarb am 13. Juli 2000 in Washington D.C.

Gebt dem Staat, was des Staates ist!

jan-karski-warschauJan Karskis eigentlicher Nachname war Kozielewski. Karski war sein Pseudonym im polnischen Untergrundstaat, der nur einige Wochen nach der Besetzung Polens durch Nazideutschland ins Leben gerufen wurde (Exilregierung in Frankreich, später in London). Er behielt den Namen bis zu seinem Tod bei. Geboren ist er kurz vor Ausbruch des 1. Weltkrieges in Lodz, ging anschließend nach Lwow (Lemberg), welches damals zu Polen gehörte, schloss dort sein Jurastudium ab und vervollständigte es mit einem Diplomatiestudium. Dank der Einflüße seines älteren Bruders Marian, der durch Jozef Pilsudskis persönlich zum Polizeikommandanten in Warschau ernannt wurde, und zudem Freunde im Außenministerium hatte, erhielt Jan Karski eine Lehrlaufbahn, wie man sie sich damals nur eträumen konnte. Vor allem wenn man, wie er, aus einer armen zehnköpfigen Familie aus der Industriestadt Lodz stammte. Das Personalbüro des Ministeriums schickte Karski auf Reisen durch Europa, damit er Erfahrung sammeln und Sprachen lernen konnte. Zunächst ging es in die Schweiz, anschließend nach London. Er tat, wie im befohlen wurde. Der Staatsdienst war seine höchste Priorität, dem Staat widmete er seine volle Aufmerksamkeit.

Er stellte nie in Frage, was die damalige Politelite propagierte. Sein Idol war Talleyrand, der in manchen Augen unmoralisch handelte und während des Wiener Kongresses von 1815 von Metternich für seine politischen Positionswechel scharf kritisert wude. Was für Karski zählte, war die Tatsache, dass Talleyrand Frankreich nie verlassen hatte und sein Leben für das „Vaterland“ aufopferte.

Ein Soldat, der nie geschossen hatte

Nach Ausbruch des 2. Weltkrieges wurde Karski in die Armee einberufen. Er stationierte in den Militärbaracken in Auschwitz, die später in das KZ Auschwitz Birkenau umfunktioniert wurden. Seine Division hat nie einen deutschen Soldaten zu Gesicht bekommen und auch Karski hat als Soldat nie einen Schuss abgegeben. Das Munitionslager wurde von der deutschen Luftwaffe bombardiert und zerstört, die Soldaten mussten gen Osten flüchten. Der Krieg war für sie vorbei. Im Osten warteten nämlich schon die Einheiten der Roten Armee. Karski geriet in Kriegsgefangenschaft.

Karski war aufgrund seiner gesellschaftlichen Position und Ausbildung Offizier. Als er von dem deutsch-russischen Gefangenenaustausch erfuhr, tauschte er mit einem Soldaten die Uniformen (Offiziere waren von diesem Austausch ausgeschlossen und wurden im Frühling 1940 in Katyn, Smolensk u.a. erschoßen) und gelangte so auf die deutsche Seite. Er flüchtete nach Warschau, wo sein Bruder weiterhin als Polizeikommadant stationierte, nun unter deutscher Besatzung. Er begab 1964 in Washington Selbstmord, weil er sich diesen „Verrat am Vaterland“ nie verzeihen konnte.

Das Vertrauen in den Staat schwand dahin. Die polnische Armee, so hatte es die Generalität versprochen, war bestens auf den Krieg mit Deutschland vorbereitet. Nach einigen Wochen, vielleicht Monaten, würde sich Deutschland zurückziehen und Frieden schließen wollen. Doch der Zauber flog nur nach wenigen Wochen auf. Für Karski war das eine niederschmetternde Erfahrung, die auch ein Grund dafür war, dass er Polen nach dem Krieg „freundschaftlich“ zur Seite stand, aber niemals nach Polen zurückkehren wollte.

Seine politischen Missionen

Meine Mission war wichtig, ich bedeutete nichts

Jan Karski

Jan Karski hatte eine sehr zurückhaltende Beziehung zu seinen Missionen während des 2. Weltkrieges. Dreißig Jahre nach dem Krieg wussten seine Studenten an der Georgetown University nichts von seiner Tätigkeit im polnischen Untergrundstaat. Er sagte nur, dass „meine Mission wichtig war, er jedoch bedeutete nichts“. Karski hatte die Aufgabe die gesammelten Informationen aus dem besetzten Polen an die Exilregierung nach Paris, später London, zu übermitteln. Während dieser Zeit unterstand er dem Oberkommandierenden der Armia Krajowa (Heimatarmee) in den besetzten polnischen Gebieten. In deutschsprachigen Literaturquellen ist Karski ein Kurier zwischen der Exilregierung und der Leitung der Heimatarmee. Wenn man es genauer nimmt, war er ein politischer Gesandter oder Emissär, der mit Zustimmung der Heimatarmee von den politischen Gruppierungen im besetzten Polen als politischer Kurier eingesetzt wurde.

Er musste, um die Informationen zu übermitteln, unzählige Aussagen auswendig lernen und sie anschließend dem Empfänger rezitieren. Und er hatte ein äußerst Leistungsfähiges Gedächtnis, sodass er sich Wort für Wort die Forderungen und Depechen von sogar zehn Personen oder Gruppierungen merken konnte.

Seine Reisen unter falschen Namen und mit gefälschten Pässen sind in Polen sagenumwoben. Diese Missionen über die Karpaten nach Ungarn, und weiter über Italien nach Frankreich, machten ihn bekannt und berühmt. Auf einer dieser Missionen wurde er jedoch verraten und geriet in deutsche Gefangenschaft. Nach Tagen der Folter schnitt er sich die Adern auf, weil er wusste, dass er es nicht mehr lange aushalten würde. Er überlebte. Der Untergrund rettete ihn anschließend aus dem Krankenhaus. Durch die Schnittwunden war er leichte Beute für den deutschen Sicherheitsdienst und wurde schließlich in London stationiert. Es vergingen viele Jahrzehnte, bis er nach Polen zurückkehrte.

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Die Missionen von Jan Karski © Antissimo via wikimedia

Das Gewissen der Welt. Der Holocaust.

Das Gewissen der ganzen Welt leidet bis heute unter dieser Fehleinschätzung und Ungläubigkeit!

1942 wurde Karski von den Vertretern der zwei größten politischen Parteien der Sijonisten und des Bundes als Kurier eingesetzt. Das Ziel dieser Parteien war es, die Welt wissen zu lassen, dass die Nazis das Judentum vernichtet wollen, und die Alliierten dazu zu bringen, dass sie den Schutz der Juden auf die politische und militärische Agenda schreiben. Vom polnischen Premierminister forderten sie Waffenlieferungen. Damit der Grad der Glaubwürdigkeit wächst, schmuggelten sie Karski in das Warschauer Ghetto und zeigten den abscheulichen Prozess im Lager Izbica bei Lublin. Karski sollte die Extermination der Juden mit eigenen Augen sehen. Es war Sommer 1942. Die Endlösung der Judenfrage war im vollen Gange. In nur wenigen Monaten transportierten die Nazis 350 000 Juden aus Warschau in das Vernichtungslanger Treblinka und vergasten sie. Das jüdische Leben in Warschau wurde während eines Sommers ausgelöscht.

Dieser Augenzeugenbericht ist der Grund für die Karski-Bank in der Nähe des Denkmals der Helden des Ghettos. Er war der erste Augenzeuge des Holocaust, der dieses Thema politischen Führern persönlich darstellen konnte. Im Namen des polnischen Exilstaates wurden Audienzen mit Churchill und Roosevelt organisiert. Doch er erklärte er immer wieder, dass das alles nichts und wieder nichts gebracht hatte. Das Interesse war zu jener Zeit ein anderes. Das Gewissen der ganzen Welt leidet bis heute unter dieser Fehleinschätzung und Ungläubigkeit! Und das sollten sich vor allem wir Polen zu Herzen nehmen!

Story of a Secret State

story-of-a-secret-state-karskiBekannt wurde er kurzzeitig für sein Buch „Der geheime Staat“, welches 1944 herausgegeben wurde. Die Auflage betrug unglaubliche 400 Tausend Stück. Der Text wurde an den amerikanischen Duchschnittsleser angepasst. Zu dieser Zeit war jedoch schon alles verloren. Zudem sank das Interesse für Polen, für die Juden ebenfalls. Das Buch bekam nach 50 Jahren eine zweite Chance und wurde mittlerweile in unzählige Sprachen übersetzt. Ich kann es jedem nur empfehlen.

Seine Beziehung zu den Juden

Auf die Frage, ob es in Polen Antisemitismus gab, antwortete er „Ja, aber nicht in unserem Hause“. Erzogen wurde er in strengreliöser Manier. Vor allem seine Mutter, die großen Enfluß auf ihn hatte, achtete auf die Befolgung aller religiösen Gepflogenheiten. Doch die Familie war sich dessen bewußt, dass Maria und die Apostel Juden waren. Sie vertrat eine judeochristliche Tradition und sah in den Juden die älteren Brüder im Glauben. In seiner Schule in Lodz hatte er viele jüdische Freunde. Die Religion war für ihn eine private Angelegenheit. Seine Frau Pola Nirenska, eigentlich Nirensztajn, war Polin jüdischer Abstammung. Sie lernten sich schon vor dem Krieg kennen und heirateten nach dem Krieg im gehobenen Alter in den USA. Sie begann, wie der Bruder Karskis, 1992 Selbstmord.

Neuer Pass, neues Glück

Polen ist nicht seit gestern ein Land, welches leichtgläubig mit den Starken umgeht und arrogant sowie antipathisch gegenüber den Schwachen auftritt

Jan Karski

Karski war von Polen und den europäischen Partnern enttäuscht, weil getäuscht worden. Daher entschied er nach Ende des Krieges in die USA auszuwandern. Nach Frankreich konnte er nicht gehen, weil er über diese Land nach den Ereignissen von 1939 keine gute Meinung hatte. England kam ebenfalls nicht in Frage, weil er wusste, dass sein stark polnischer Akzent ihm eine große Hürde sein würde.

Die US-amerikanische Bürgerschaft erhielt er 1954. Dafür musste er vor Zeugen einen Eid ablegen. Das tat er. Der Bruch mit Polen wurde formalisiert. Von hier an widmete er sein Leben einem anderen Staat, so wie er es bis 1945 für Polen tat. Als Professor an der Georgtown University und gelegentlich als Vertreter der US-amerikanischen Administration.

Karski fühlte sich für die 2. Republik Polen mitverantwortlich. Er liebte das Land blind und erfüllte alle seine ihm erteilten Aufgaben gewissenhaft. Es bedeutet aber nicht, dass er die Sünden und Triviia seiner Heimat nicht sah. Nach dem 2. Weltkrieg, in den USA, konnte er sie mit schärferen Augen betrachten. Sein Ergebnis war für die Auslandspolen nicht zufriedenstellend. Der mangelnde Kontakt mit der amerikanischen Polonia ist dahingehend nicht verwunderlich. Eine seiner Aussagen war, dass „Polen nicht seit gestern ein Land sei, welche leichtgläubig mit den Starken umgeht und arrogant sowie antipathisch gegenüber den Schwachen auftritt“. Ich finde, dass seine Aussage heute weiterhin aktuell ist. Der Übergang zur 3. Republik Polen nach 1990 ist fließend.. Aber das ist eine andere Geschichte.

Seine Beziehung zu Polen blieb bis zum Ende freundschaftlich. Er wünschte Polen viel Glück auf dem Weg der Freiheit, manchmal eher zur Freiheit. Von Heimatliebe konnte bei Karski nach 1990 jedoch keine Rede mehr sein. Er war ein Mann, der nur eine Heimat lieben konnte. Erst war es das Polen seiner Geburt, Jugend und des Staatsdienstes, dann, bis zum Ende, die der Vereinigten Staaten von Amerika.

Karski wollte endlich zu den Siegern gehören und sich von der polnischen Tradition der gloria victis loslösen. Mögen andere seiner Mission folgen und sie endlich vollbringen.

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Mieciousa as Jan Karski Sosiety, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Antoni Administrator
Europäer mit polnischem Herz und deutschem Hirn! Eigentümer des Touristikunternehmens Walking Poland Group, lizenzierter Stadtführer in Warschau, Fotograf, Jurist (1. Staatsexamen), Redakteur
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Antoni Administrator
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