Jüdisches Erbe

Aufstand im Warschauer Ghetto 1943. Ein Kampf um Würde.

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Am 19. April 1943 um 6 Uhr morgens stürmen 16 Offiziere und 850 Soldaten der Waffen-SS das jüdische Ghetto in Warschau. Alle Juden sollen exterminiert werden, ihr materielles Hab und Gut gesichert, das Ghetto ausgelöscht werden. Den Befehl erteilte am 16. Februar 1943 Heinrich Himmler persönlich. Doch das Ghetto wehrt sich!

Der Aufstand im Jüdischen Ghetto dauerte knapp einen Monat. Am 16. Mai wurde die Große Synagoge an der Tlomackie-Straße als Symbol für das Ende des Aufstandes in die Luft gesprengt. SS-Gruppenführer Jürgen Stroop meldete nach Berlin: „Das ehemalige jüdische Wohnviertel Warschaus besteht nicht mehr. Mit der Sprengung der Warschauer Synagoge wurde die Großaktion um 20:15 Uhr beendet. […].“ Darf man es Aufstand nennen, wenn Menschen ihr Leben opfern, um mit Würde zu sterben? 

Das größte Ghetto im besetzten Europa

Das ehemalige jüdische Wohnviertel Warschaus besteht nicht mehr. Mit der Sprengung der Warschaure Synagoge wurde die Großaktion um 20:15 beendet

SS-Gruppenführer J. Stroop

Am 2. Oktober 1940 wird Warschau in drei Wohnbezirke aufgeteilt. Hierbei wurde der Grenzverlauf des Ghettos erkennbar. Die Konsequenz der Aufteilung war die erste große Umsiedlungsaktion während des 2. Weltkrieges. 75 000 Menschen mussten das jüdische Viertel verlassen. Sie waren keine Juden. Weitere 145 000 Menschen trieb man wie Tiere in das Ghetto. Sie waren Juden. Am 16. November 1940 wurde die 16 Kilometer lange und drei Meter hohe Mauer fertiggestellt. Die Juden waren auf sich allein gestellt. Auf knapp vier Quadratkilometern Fläche wurden bis zu 500 000 Juden aus Warschau und den umliegenden Städten und Dörfern zusammengepfercht. Das konnten sogar 150 000 Menschen pro Quadratkilometer sein. Die heutige Bevölkerungsdichte der total überfüllten Pariser Innenstadt liegt bei 35 000 Einwohnern. Das Warschauer Ghetto war das größte Ghetto im besetzten Europa.

Ab jetzt hieß es zu überleben, um jeden Preis. Und dahinter steckt keine romantische Erzählung. Wir können uns heute das Ausmaß des Leidens nicht im geringsten vorstellen. Es gibt einen Bericht über eine Mutter, die so hungrig war, dass sie ihr totes Kind anknabberte. Wie geht man mit solchen Informationen um? Wir müssen hinschauen und dürfen das Leid auf keinen Fall „verschönern“, weil es unser gemütliches Leben und Umfeld erschüttern könnte. 

Jedem Juden wurden formell 230 Kalorien pro Tag zugeteilt. Tatsächlich dürften die Lebensmittelrationen geringer gewesen sein. Die Unmenschen wollten die Juden verhungern lassen. Bis zum Sommer 1942 starben ca. 80 000 Menschen aufgrund von Hunger. Für die Nazis waren diese Zahlen zu gering.

Bis zum Sommer 1942 starben ca. 80 000 Menschen. Für die Nazis waren die Zahlen zu gering.

Die Ghettomauer heute

An den Straßen Zlota 62 und Sienna 55 stehen zwei sehr kurze Abschnitte der Ghettomauer. Ein Ziegelstein befindet sich im Museum der Geschichte des Holokaust Jad Vashem in Jerusalem. Zwei weitere liegen in den Museen in Houston und Melbourne. Diese Mauerabschnitte grenzen heute Wohnhäuser von der Umwelt ab.

Aktion Reinhardt

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Treblinka, ca 80 Kilometer von Warschau entfernt

Im Sommer 1942 begann die von den Nazis als „Endlösung der Judenfrage“ bezeichnete Ermordung der Juden. Die Warschauer Juden transportierte man wie Vieh ins Vernichtungslager Treblinka. Das war damals ein Dorf mit knapp 200 Einwohnern. Selbst von da waren es noch eineinhalb Kilometer zum Vernichtungslager. Treblinka II wurde ab Mai 1942 gebaut. Die Verantwortlichen der SS entschieden sich für einen Boden aus Terrakotta und roten Ziegelsteinen, um das Putzen zu vereinfachen und damit die Blutflecken nicht sofort ins Auge fallen, wenn die nächste Gruppe hineingezwungen wird. Die Duschköpfe in der Decke sollten die Gefangenen so lange wie nur möglich beruhigen. Die Gaskammer war aufgeteilt in drei Bereiche mit einer Grundfläche von jeweils 4,5 mal 4,5 Meter. In jede Kammer wurden sogar 200 Menschen gezwungen. Kleinkinder und Babys warf man auf die Köpfe der Erwachsenen, um jede Lücke auszunutzen. Im September wurde die Mordmaschinerie ausgebaut. Zehn zusätzliche Kammern mi 4 mal 7 Metern Fläche ermöglichten die Vergasung von 4000 Menschen gleichzeitig. An einem Tag wurde 10 bis 17 Tausend Menschen vergast. Die Grabstätten befanden sich hinter den Gaskammern.

In einem Jahr ließen die Mörder das Lager bauen, ließen 350 000 Juden aus Warschau transportieren und vernichteten in zwei Monaten das gesamte jüdische Erbe der Stadt. 500 Jahre jüdischer Geschichte in Warschau.

Der letzte Schuss in Treblinka fiel am 17. November 1943. Erschoßen wurden die Arbeitskräfte, die ihre eigenen Brüder, Mütter, Väter und Kinder vergraben mussten.

Die Todeszahlen liegen zwischen 780 000 und 950 000 Menschen. Der letzte Überlebende war Samuel Willenberg. 1950 reiste er nach Israel aus. 2016 verstarb er, der letzte Zeuge des Grauens.

Erster Aufstand im Ghetto

Es ist kaum jemandem bekannt, dass die SS schon am 18. Januar 1943 in das Ghetto einmaschierte. Doch der jüdische Kampftrupp war vorbereitet. Nach vier Tagen zogen sich die deutschen Einheiten zurück.

Der Jüdische Aufstand

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Denkmal für die Helden des Jüdischen Ghettos

Am 19. April 1943, am Vorabend des Pessach-Festes, erfolgte der zweite Angriff. Die SS-Einheiten rechneten nach der Gegenwehr im Januar auch dieses Mal mit Widerstand. Von einer Überraschung kann nicht gesprochen werden. Lediglich das Ausmaß war nicht bekannt. Die Aufständischen kämpften für Freiheit, aber vielmehr für einen würdevollen Tod. Niemand rechnete ernsthaft damit, dass er sich aus dieser mörderischen Zange hätte befreien können. An eine Befreiung der jüdischen Gemeinde hatte niemand gedacht. Befreien konnte man nur sich selbst. Das war auch die Kritik der nichtkämpfenden Juden, die sagten, dass man sich hätte irgendwo verstecken können, wenn der Aufstand nicht ausgerufen worden wäre. Diese Möglichkeit wurde ihnen durch den Ausbruch des Aufstandes genommen. Jede Perspektive ist anders.

Im Jahre 73, während des großen Jüdischen Krieges, beschlossen die jüdischen Belagerten unter der Führung von Eleazar ben Ya´ir sich selbst das Leben zu nehmen, statt in die Hände der Römer zu fallen. Ein Ruhmvoller Tod ist besser als ein Leben im Elend. Es waren 960 Männer, Frauen und Kinder. Die Belagerung der Festung Massada erinnert an den Bunker an der Mila-Straße. Hier waren es 112 Freiheitskämpfer. Erst tötete man die Kinder, dann die Frauen, zum Schluß die Männer. Unter Ihnen war auch der Anführer des Aufstandes Mordechaj Anielewicz. Er war 24 Jahre alt.

Eine Stadt, zwei Aufstände

Oftmals wird der Jüdische Aufstand von 1943 mit dem Warschauer Aufstand von 1944 verwechselt. Zumeist ist über den Warschauer Aufstand kaum etwas bekannt. Der zweite begann am 1. August 1944 und hatte andere Motive. Eine Gemeinsamkeit gibt es jedoch: in beiden Fällen kämpften die Aufständischen nicht für die Freiheit. Sie kämpften, weil sie frei waren!

Antoni Administrator
Europäer mit polnischem Herz und deutschem Hirn! Eigentümer des Touristikunternehmens Walking Poland Group, lizenzierter Stadtführer in Warschau, Fotograf, Jurist (1. Staatsexamen), Redakteur
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