FeuilletonLeben in Warschau

Auswandern nach Polen? Warum nicht?!

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Treppe ins Ungewiße? © MeinWarschau

Meine Vorgeschichte

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Das bin ich 🙂

Die Grenzen wurden 1989 geöffnet und hunderttausende Polen, vor allem aus (Ober-)Schlesien, haben sich auf den Weg Richtung Westen begeben. Die Beweggründe waren sehr unterschiedlich, doch kann man zusammenfassend sagen, dass die Aussicht auf ein besseres Leben der Hauptgrund war. Ich war damals kurz vor meinem 5. Geburtstag. Im Prinzip war es mir egal, was da vor sich ging und schon nach kurzer Zeit fing es an mir sogar Spaß zu machen. In den nächsten 23 Jahren war ich hunderte Male in Polen, um Familie und Freunde zu besuchen. Im Laufe dieser Zeit entstand eine modifizierte Art des Heimwehs, denn mein Heim, meine Heimat, war doch in Deutschland, oder nicht? Dabei entstand nie der Gedanke, irgendwann für immer nach Polen auszuwandern. Vielmehr war es lediglich der Wunsch zu wissen, wo meine Wurzeln sind. In Deutschland ging es meiner Familie wunderbar und so verschwanden irgenwann auch die Grenzen in unseren Köpfen. Warum wollte ich nicht nach Polen? Das lässt sich hier und jetzt nicht in ein paar Sätzen erklären, allerdings war Polen damals nicht unbedingt das Eldorado Europas. Bei den Gehältern gab es erhebliche Unterschiede. Und wenn man dazu noch in einem der reichsten Länder der Welt wohnt, bleibt man gefälligst, wo man ist. Es gab für ein Leben in Polen auch kaum Perspektiven. Was sollte man denn dort machen? Bürojobs gab es damals noch keine, die Städte waren an kein durchgehendes Autobahnnetz angeschlossen und mit Nostalgie hat bisher noch niemand seinen Lebensunterhalt verdient.

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Basare in Polen. Wirtschaftszentren der 90er Jahre

Doch irgendwann kam der Moment, als dieses einfache Weltbild einfach umgestoßen wurde. Nicht nur, weil es in Polen nach dem EU-Beitritt 2004 wirtschaftlich bergauf ging, sondern auch durch das damit verbundene Erstarken meiner emotionalen Bindung. Es kommt im Leben eines jeden Menschen der Moment, dass er sich fragt, wo er herkommt und ob der Ort, an dem er sich befindet, der richtige ist.

Um das herauszufinden, nehme ich 2008 habe am ERASMUS-Studentenaustauschprogramm teil. Bewusst habe ich mich für die Universität in Warschau entschieden. Andere Städte kannte ich zu Genüge und ich wollte in eine mir fremde Umgebung, wo ich auch das wahre Leben kosten könnte. Damals sah ich Warschau zum ersten Mal und war anfangs gar nicht begeistert. Zum ersten Mal habe ich auch das alltägliche Leben in Polen erleben können. Und davon war ich ebenfalls nicht begeistert. Doch das war das, was ich gesucht hatte. Paradoxerweise fand ich hier den Ort, den ich vermisse, wenn ich mich außerhalb von Warschau befinde.

Dass mir in Deutschland etwas fehlte, das wusste ich. Es zu benennen war für mich jedoch unmöglich. In Warschau konnte ich es endlich benennen, es war die Zugehörigkeit!

In Warschau fühlte ich mich vom ersten Tag an wohl (trotz oder vielleicht wegen der fehlenden Begeisterung?) und die Entscheidung in die polnische Hauptstadt zu ziehen wurde sofort beschlossen. Zunächst musste ich jedoch nach „Hause“, Studium abschließen, von Freunden und Familie verabschieden, Klamotten packen und nach drei Jahren ging es endgültig nach Warschau. Wir schreiben das Jahr 2013. Ach, was eine Erleichterung!

Was habe ich mir dabei gedacht?

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Polnische Flagge / www.pexels.com [CC0]

Viele haben sich gefragt, was ich mir dabei gedacht habe. Vom Ruhrpott über Berlin bis nach Warschau – für alle war klar, ich komme bald wieder und werde mich an dieses Ereignis in 25 Jahren mit einem Lächeln erinnern. Lediglich die Fragestellung war eine etwas andere und natürlich regional bedingt und gefragt haben sich nicht nur die Deutschen, denn die Polen waren ebenfalls sehr erstaunt. Die polnische Frage lautete also „Jetzt bist du schon in einem der reichsten Länder der Welt aufgewachsen und ziehst jetzt nach Polen? Warum? Bist du wahnsinnig?“ Die deutsche hingegen lautete „Was willst du da eigentlich machen? Gibt es da überhaupt etwas?“ Auf diese Fragen musste ich natürlich auch Antworten finden und vor Ort sucht es sich bekannterweise am besten.

Es war dann doch einfacher als gedacht

Ich bin polnischer als ich dachte, deutscher als ich vermutete und die Deutschen und Polen unterscheiden sich mehr voneinander, als sie selbst je geahnt hätten.

Nun sind mittlerweile 8 Jahre vergangen. Ich persönlich hätte nicht gedacht, dass der Wechsel so einfach ablaufen würde. Scheint fast so, als wäre hier schon immer ein Plätzchen für mich frei gewesen. Aber eine Sache hat mich dann doch ins Grübeln gebracht. Das ist die Tatsache, dass ich polnischer bin als ich dachte, dass ich deutscher bin als ich vermutete und dass die Deutschen und die Polen sich mehr voneinander unterscheiden, als sie selbst je geahnt hätten.

Das war einer der Hauptgründe für meinen persönlichen Blog MeinWarschau. Schnell wurde mir klar, dass die deutsch-polnische Versöhnung und die tolle Nachbarschaft trotz der dramatischen historischen Ereignisse kein Fertigprodukt war, sondern nur durch aktive Beteiligung aufrecht erhalten werden kann. So möchte ich meinen Teil beitragen.

Polish American Way of Life

Man muss schon tatsächlich eine gewiße Zeit in Polen verbringen, um festzustellen
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können, dass der American Way of Life in Polen zum daily business gehört. Zu sehen ist das vor allem am Tempo, an den riesigen Malls im Stadtzentrum, an der Vorliebe für große Autos oder daran, dass alles machbar ist, auch wenn es eine Gefahr für Leib und Leben darstellt. Schließlich ist Entertainment das, was zählt.

 P.S. Keine Sorge – die Anglizismen sind gewollt und werden sich nicht häufen. 

Die polnische „Amerikanismus“ hat hier eine etwas Natur, denn er ist vermischt mit dem europäischen Weltbild. Polen könnte also einen interessanten Mix auf die Beine bringen, der anziehend wirken könnte für den mittlerweile „ausgelebten“ europäischen Lebensstil. Genau das ist es, was mich hier so fasziniert. Es ist etwas neues, was man entdecken und mit dem man sich beschäftigen kann. Glauben Sie mir – ihre Seele wird sich hier – also in Warschau – sicherlich wohlfühlen.

Warschau ist nicht Polen

Zwsichen 1989 und 2013 war ich nicht ein einziges Mal in Warschau. Wir hatten schlicht keinen Grund, um in die Hauptstadt zu fahren. Krakau, Danzig, Posen oder Breslau waren interessanter. Doch in diesen Städten ist ein Neuanfang schwieriger, denn die Gesellschaften sind hier gefestigter und schwieriger zu durchbrechen. Bei einem längeren Aufenthalt als Student, bei kürzeren Aufenthalten als Tourist oder bei Familienbesuchen ist eine intensive Integration nicht notwendig.. Doch das Leben sieht etwas anders aus und derjenige, der mit Ambitionen an die Sache rangeht und teilnehmen will, der braucht auch einen Zugang z.B. zu öffentlichen Institutionen. In Deutschland sah es für mich auch nicht anders aus. Mit einem polnischen Nachnamen und einem Migrationshintergrund ist es wesentlich schwieriger zu den oberen 10% zu gehören.

In Polen ist der Weg nach oben einfacher. Die Stadt ist multikultureller, offen für neues und wurde während des 2. Weltkrieges völlig zerstört. Anschließend konnte sich hier keine elitäre Gruppe entwickeln. Warschau ist eine Stadt, in der man quasi bei Null anfangen kann und die Chance, dass daraus etwas werden kann, ist sehr groß. Aber – das wird irgendwann auch nicht mehr so sein. Ich persönlich gehe davon aus, dass die Stadt in 10-15 Jahren gesellschaftlich ähnlich aufgebaut sein wird wie Berlin, Krakau, Paris oder London. Noch kann man sich ein Stück vom Kuchen abschneiden.

Wieso ziehen die Polen massenhaft aus? Und wieso ziehen sie nicht nach Warschau?

Viele Polen sind in den letzten Jahren ausgewandert. Man spricht sogar von einer regelrechten Auswanderungswelle, die zweite seit 1989 und eine von den zahlreichen Auswanderungswellen seit 1795 (1795 war die 3. Polnische Teilung – Polen existierte von 1795 bis 1918 nicht als eigenständiger Staat). Obwohl man natürlich auch viel Negatives über die Polen in den jeweiligen Einwanderungsländern hört, integrieren sie sich und passen sich größtenteils an.  Die Exil-Polen oder die sogenannte Polonia hat weltweit zwischen 15 und 18 Millionen Mitglieder. Das ist fast die Hälfte der in Polen lebenden Polen.

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Warschauer Innenstadt

Polen hingegen scheint mir ein Land zu sein, wo die Integration für Ausländer schwieriger ist. Das liegt nicht unbedingt daran, dass die Akzeptanz seitens der Gesellschaft fehlt. Vielmehr liegt es eben am American Way of Life – damit hängen zusammen ein quasi nicht existierendes Sozialsystem, die tägliche Angst es nicht über die Runden zu schaffen, das schnelle Tempo 7 Tage die Woche und die chaotischen Verhältnisse bei der Organisation der Städte, Straßen und Verwaltung. Sobald man sich jedoch wohl fühlt, dann geht es schnell und der Weg nach oben steht jedem offen. Soweit muss man allerdings erstmal kommen.

Schauen Sie sich eine Kurzfassung der polnischen Geschichte an. Dort werden sie sehen, warum die Polonia so zahlreich ist. Und warum ziehen die Polen nicht nach Warschau? Das hat zwei Gründe. Erstens – Warschau ist eine typische Dienstleistungsstadt und die Auswanderer haben oftmals nicht die entsprechenden Qualifikationen für die hier angebotenen Jobs. Fabriken und Lagerhallen gibt es in Warschau so gut wie gar nicht. Zweitens – der Wohnungsbau ist nicht schnell genug.

Warum also nicht?!

Meine polnische Antwort lautet also „Nicht nur das Geld und der Lebensstandard zählen, sondern auch das geistlich-mentale Wohl“. Den Deutschen hingegen kann ich nur sagen „Es gibt in Polen manchmal sogar mehr zu tun als in Deutschland. Hier muss man sich jedoch selber auf die Suche machen“. 

Antoni Administrator
Europäer mit polnischem Herz und deutschem Hirn! Eigentümer des Touristikunternehmens Walking Poland Group, lizenzierter Stadtführer in Warschau, Fotograf, Jurist (1. Staatsexamen), Redakteur
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Antoni Administrator
Europäer mit polnischem Herz und deutschem Hirn! Eigentümer des Touristikunternehmens Walking Poland Group, lizenzierter Stadtführer in Warschau, Fotograf, Jurist (1. Staatsexamen), Redakteur

Kommentare(9)

  1. Justyna Kleinhans

    Hallo, ich lebe seit 1989 in Deutschland, kam mit 12 Jahren her und werde definitiv zurück gehen.. Können sie mir etwas über erneuerbaren Energie in pen sagen. Speziel, stom und warmwasserkolektoren.wir haben hier eine Firma und ich würde gerne, ein Neustart in pen wagen.. Auch ein Stück Land kaufen um Bio Lebensmittel anzubauen.. Ich würde in malbork geboren und in die Gegend möchte ich wieder hin.. Über eine Antwort von Ihnen würde ich mich sehr freuen.. Herzliche Grüße.. Justyna

    • Das ja lustig komme auch von der Ecke und seit 89 in Hamburg …..überlege auch zurück , irgendwie zeiht es mich nur Hamburg war ich 30 Jahre ok mir das Multi kulti fehlen wird ist die Frage , naja Hamburg ist ja um die Ecke sonst 🙂

      Lg

  2. Genau die gleiche Geschichte wie bei mir nur, dass ich seit 2016 hier lebe

  3. Auswandern ist schwieriger als gedacht, wir versuchen schon seid Monaten auszuwandern. Aber man muss alles gut durchdenken, es klappt nicht immer so wie man es sich vorstellt. Danke für den Beitrag.

    Lg sina

    • Hallo Sina. Da kann ich Dir nur Recht geben. Für mich war es auch ziemlich schwierig, obwohl ich zum Teil sehr gute Voraussetzungen mitgebracht habe. Vielleicht gibt es einfach keinen „einfachen“ Weg und man muss es einfach tun 🙂

  4. danke, sprachst du polnisch als du eingewandert bist?

    • Antoni Władyka

      Hallo Robert,
      ja, ich sprach schon relativ gut polnisch, als ich 2012/2013 nach Polen ausgewandert/eingewandert bin. Wir haben zu Hause (in Deutschland) miteinander nur polnisch gesprochen. Daher hatte ich im Laufe der Jahre auch ein gewißes Sprachgerüst aufgebaut. Während meines Erasmus-Jahres in Warschau 2007-2008 verbrachte ich die Zeit nur mit polnischen Studenten, was mir half die Sprache zu schleifen. Mittlerweile spreche ich beide Sprachen akzentfrei.

      • Ich möchte auch Auswandern nun als Rentnerin . Aber wo fange ich da an ? Bin in Polen Geb. und mit 11 Jahren nach Deutschland . Wer kann mir sagen , was ich alles machen muss .

        • Hallo Irene,
          mittlerweile ist Auswandern, oder vielmehr das Umziehen innerhalb der Europäischen Union, gar nicht so kompliziert wie man glaubt. Anfangen müsstest Du mit dem Gang zum Bürgeramt in Deutschland. Frag nach, wie es dann mit der Rente aussieht.
          Wenn Du in Polen bist, musst Du Dich natürlich versichern und in der Stadt, in der Du leben willst, anmelden.
          Das ist nur ein Grundriss. Ich möchte nur zum Ausdruck bringen, dass es nichts kompliziertes ist.
          Falls Du noch weitere Fragen hast, kannst Du mich über das Kontaktformular anschreiben.

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