In Deutschland lebten bis 2012 zwei Gruppen von Polen. Die erste und ältere Gruppe schließt alle diejenigen ein, die dort ihren Lebensmittelpunkt verlegt haben. Sie kommen aus verschiedenen Epochen, hatten sehr verschiedene Motive und haben (hoffentlich) eine neue Heimat und neues Glück finden können. Dann gibt es Polen in Deutschland, die man als Saisonarbeiter bezeichnet. Sie kommen nur nach Deutschland, um hier zu arbeiten und das Geld öfter nach Hause schicken als sich selbst. Sie verkörpern die zweite Medaille der wirtschaftlichen Erfolgsgeschichte der 3. Republik, des politischen Spiegelbildes der Solidarnosc-Bewegung der 80er Jahre. Einer demokratischen Republik, die es nicht geschafft hat den eigenen Bewohnern die Idee einer wirtschaftlichen Aufopferung abzugewinnen. Und schließlich gibt es seit 2012 eine weitere Gruppe, über die ich heute etwas loswerden möchte.
Eine imaginäre Heimat
Sie haben in Deutschland ihren Lebensmittelpunkt und könnten dort ein zufriedenes Leben führen. Doch sie empfinden ihr polnisches Dasein als eine Last, die sie nicht abschütteln können. So verzehren sie unnötige Energie darauf sich als Polen ohne Heimat darzustellen. Sie leben in Deutschland sind jedoch viel zu oft mit ihren Gedanken in ihrer imaginären Heimat. Sie können nicht zurückkehren, weil sie es gar nicht wollen. Die fehlende Akzeptanz des Ablegens der imaginären Identität führt konsequent zur Unmöglichkeit der Annahme der tatsächlichen Identität.
Die Leidtragenden sind wir alle
Die Polen, die lediglich ihrer Herkunft nach aus Polen stammen, zeigen kein großes Interesse an dem eigentlichen Geschehen in diesem Lande. Die polnische Herkunft ist für sie ein exotischer Zusatz im Lebenslauf. Diejenigen wiederrum, die sich nur saisonal in Deutschland aufhalten, haben allen Grund zum meckern. Ihre Kinder sehen sie meistens nur über Whatsapp und ihre Frauen oder Männer entfernen sich emotional von Jahr zu Jahr. Doch haben sie zumeist keinen Einfluß auf das objektive Bild des eigenen Landes, da ihre Lebenssituation zumeist selbsterklärend ist. Und die Möchtegern-Rückkehrer? Sie kritisieren in und über Polen alles nur erdenkliche, damit sie sich nicht als Deutsche und immer noch als Polen identifizieren können (als in verkehrter Reihenfolge). Sie schaffen sich ein Narrativ auf Kosten der ganzen polnischen Gesellschaft, Kultur und Geschichte. Der Schaden, den sie anrichten, ist wirklich groß. Sie schaden den in Polen lebenden Bürgern, der deutsch-polnischen Verständigung und den eigenen Kindern, die sie mit der eigenen Lüge erziehen.
Warum eigentlich nicht?
Das polnische Niemandsland dieser Polen in Deutschland entstand spätestens im Jahre 2012. In Polen – und der Ukraine – wurde die Europameisterschaft im Fußball ausgetragen. Städte wie Warschau, Krakau oder Danzig haben sich herausgeputzt, wobei nicht alles ideal gelaufen ist. Doch die Welt hat gestaunt, dass dieses Land nach gerade mal 22 Jahren von westeuropäischen Städten zwar noch zu unterscheiden war, aber nicht wie in den 80ern und 90ern. Jenes Polen, welches bis 2020 einen noch weiteren Sprung gemacht hat als vorher und sich auf einen noch weiteren vorbereitet, ließ bei vielen polnischen Mitbürgern in Deutschland ein sehr unsicheres Gefühl zurück. Als ich Anfang 2013 nun dauerhaft nach Warschau gezogen bin, wurde ich stets nach dem „Warum“ gefragt. Die Frage erfuhr eine Evolution und lautet nun „Warum eigentlich nicht„.
Polen in Schieflage
Ist man vor 20 Jahren nach Polen gefahren, war allles so, wie es sein sollte. Polen war arm, die Polen waren arm und das Land so rückständig, dass man es mit einem gewißen Mitleid und Misstrauen bewunderte. Die Demokratie funktionierte, weil diejenigen an der Macht waren, die in einer Symbiose mit den westeuropäischen Regierungen flirteten. Polnischen Ministern klopfte man voller Zufriedenheit auf die Schulter und der amerikanische Lebensstil wurde mit viel Hassliebe in die Gemüter der neuen demokratischen Republik eingehämmert. Die Polen wurden begutäugelt wie ein fünfjähriger, der gerade erst gelernt hatte Fahrrad zu fahren. Die Möchtegern-Rückkehrer gab es damals noch nicht, schließlich würde niemand ernsthaft auf die Idee kommen vom Mercedes auf einen Polski Fiat 126p umzusteigen. Es heißt nicht, dass es damals nicht auch mutige Pioniere gab. Aber das waren vielmehr exotische Geschichte, vergleichbar mit dem Aufenthalt von Foucault in Warschau 1958.
Doch dann passiert eine äußerst ungewöhnliche Sache. Nach der Krise 2008-2009 beruhigte sich die Lage, die Wirtschaft schwang sich wieder auf Hochtouren und vor allem die Städte erleben seitdem einen Aufschwung, den sich so niemand ausgemalt hätte. In den Großstädten liegen die Arbeitslosenquoten bei unter 3 Prozent, der Ausländeranteil steigt von Jahr zu Jahr (in Warschau sind es mehr als 8 Prozent) und der Immobilienmarkt platzt aus allen Nähten. Allein in Warschau baut man jährlich 12 000 Wohnungen und zudem auch die höchsten Gebäude Europas. Doch genau dann wählt der in guter Erinnerung gewesene fünfjährige Fahrradfahrer und mittlerweile 25-jährige SUVA fahrende Pole eine Partei, die nach der Logik der finanziellen und politischen Unterstützung aus Westeuropa nie hätte an die Macht kommen dürfen. Die heute regierenden Recht und Gerechtigkeit (PiS) war von 2005 bis 2007 an der Macht. Doch waren die Ressentiments damals bei weitem nicht so harsch wie aktuell und vor allem hatte die PiS keine absolute Mehrheit im Parlament. In Polen entand seitdem eine bipolare Gesellschaft, die sich aufteilt in ein ländlich-konservatives und ein urban-liberales Lager. Wie ich in einem anderen Beitrag beschrieben hatte: die polnische Gesellschaft blinkt nach rechts und fährt nach links.
Ein würdiger Vertreter
Eine grandiose Charakterisierung dieser Gruppe hat Frau Smechowski in ihrem Buch “Rückkehr nach Polen” verfasst. Darin kann man mit viel Präzision nachlesen, wie man in kultureller Hinsicht Pole sein will, weil auch die polnische Kultur anziehend wirkt, jedoch nicht nach Polen zieht, weil man sich in Deutschland sehr wohl fühlt, allerdings als Pole nicht sagen darf, dass man kein Pole mehr sein will, vor allem dann nicht, wenn man in Deutschland lebt. Somit benötigt man eine entsprechende Geschichte, um allen, und vor allem sich selbst, gerecht zu werden. Das Narrativ dieser Gruppe war bis 2012 ziemlich einfach. Die Polen sind eine stolze Nation, sie haben viel durchgemacht, für ihre Freiheit gekämpft und wenn sie noch die nächsten 100 Jahre als verlängerte Werkbank und Call-Center-Zentrum Europas dienen, wird es dann auch was mit der Angleichung an den europäischen Lebensstandard. Aber immerhin sind sie nun sicher (vor allem vor den Russen), entwickeln sich zu einer reifen demokratischen Gesellschaft und sind bei all der Anstrengung unglaublich gastfreundlich. Aber da der polnische Staat den Bürgern keine auch nur im Ansatz lebensfrohen Löhne garantieren kann, hat man als Pole auch keine Pflicht zurückzukehren. Punkt.
Doch wie das so mit den Plänen ist: der Mensch schreibt sie auf, und Gott streicht sie alle durch.
Frau Smechowski als Fürsprecherin liefert dieser Gruppe eine glaubwürdige Geschichte. Herr Kaczynski kommt ihr da zu richtigen Zeit. Doch sie schmeißt alle in ein Boot und lässt die Unterstüzung für Polens Städte sinken. Sie nutzt ihre Autorität, um weiterhin mitsprechen zu können. Die Beschreibung ihres Aufenthalts in Polen ist allerdings erschreckend. Sie blendet nicht nur den wirtschaftlichen Aufschwung aus, sondern schmeißt zudem auch alle 38 Millionen Polen in eine Topf und bemitleidet sie, weil sie in einer Quasi-Diktatur leben – müssen. Dadurch sind sie womöglich auch nicht mehr so gastfreundlich. Nicht nur den Flüchtlingen gegenüber, sondern allen gegenüber. Dass sie aber nun etwas zu verlieren haben, ist kein Grund, der es wert wäre zu erwähnen.
Heimat schafft Dynamik
Ihr Buch muss in Hinblick auf dieses Dilemma betrachtet werden. Smechowski hätte das Buch als persönlichen Erfahrungsbericht schreiben sollen und nicht als Beschreibung einer Gesellschaft, die sie seit langem nicht mehr versteht. Also nutzt sie die Unwissenheitder Deutschen und ihre in Deutschland erworbene Authorität aus um ein Polen für ihre eigene legendäre Erzählung voller Unterdrückung, Leid und ständigem ausgegrenzt sein zu schaffen. Die Polen in Deutschland werden ihr zustimmen, denn können sie diese Geschichte für ihre eigenen Zwecke ausnutzen. Die Polen in Polen erfahren davon womöglich nie etwas, weil das Buch hier nahezu unbekannt ist. Es soll auch nicht heißen, dass man Polen jetzt nur noch loben soll. Natürlich gibt es hier noch viel zu tun, nicht alles ist perfekt. Ich kritisiere ebenfalls das, was ich für kritikwürdig halte. Doch wenn man zwei Straßen zur Auswahl hat und diejenige auswählt, die löchrig ist, um bloß kein Lob aussprechen zu müssen, dann überschreitet man das gesunde Maß an Kritik.
Denjenigen, die in Deutschland leben, aber zu intensiv an Polen denken und sich nicht loslösen können: es gibt nur eine Heimat, doch es kann auch Deutschland sein. Entscheidet euch, erkennt eure deutsche Heimat an: Heimat schaftt Dynamik, Heimweh raubt euch nur unnötig Energie.
Eine Rezension über Frau Smechowskis Buch „Rückkehr nach Polen“ werde ich in naher Zukunft ergänzen.
Beitragsbild: Schaukel von sigmagno via flickr [CC BY-NC-ND 2.0]
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