Wolkenkratzer in Warschau

Das Ende einer Ära. Der Kulturpalast nicht mehr das höchste Gebäude Polens.

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Das Ende einer Ära

Der Kultur- und Wissenschaftspalast wurde 1955, zwei Jahre nach dem Tod Stalins und zehn Jahre nach Beendigung des 2. Weltkrieges feierlich eröffnet. Um diesen Klotz mit einer Kubatur von über 500 Tausend Kubikmetern in der Stadtmitte errichten zu können, mussten hunderte Wohngebäude abgerissen werden, und das in einer Stadt, die während des Krieges über 75 Prozent der Bausubstanz unweigerlich verloren hatte. Der Kulturpalast, wie er in Kurzform genannt wird, war ursprünglich 230 Meter hoch. Anfang der 90er Jahre, im freien Polen, kam ein Antennenmast hinzu, der den Koloss von Warschau um weitere sieben Meter anwachsen ließ. Bis 2010 dominierte das in Teilen der Bevölkerung verhasste Gebäude nicht nur die Innenstadt, sondern gleich die ganze Stadt. Bei gutem Wetter ist das Ding sogar aus über 30 Kilometern sichtbar.

Bis 2020 war es das höchste Gebäude des Landes! Nun ist seine Ära vorbei. Die Älteren unter uns können beruhigt schlafen gehen. Denn der Kapitalismus war und ist stets in einer Vorwärtsbewegung, rückte immer näher, wuchs immer höher und schuf ein höheres, größeres, dominanteres Gebäude: den Varso Tower!

Der Varso Tower ist im Video auf der linken Seite.

Der neue Leader: der Varso Tower

Der Varso Tower wird mit seinen 310 Metern der neue Wolkenkratzer-Anführer in Warschau und sicherlich für einige Jahre ein touristischer Anziehungspunkt werden. Auf 230 Meter Höhe soll nämlich das höchste Restaurant Europas eröffnet werden. Man wird also zum ersten Mal von oben herab auf den Kulturpalast schauen können.

Auf einer Autofahrt durch die Innenstadt sieht der Kulturpalast zwar immer noch imposant aus, aber er schwindet von Jahr zu Jahr. Um den knapp einen Kilometer entfernten Daszynskiego-Kreisverkehr herum stehen drei Wolkenkratzer, ein weiterer wird Gebaut, und fünf weitere stehen nicht weit entfernt. Der Kulturpalast sticht mit seinem Zuckerbäckerstil deutlich hervor, man merkt, dass er irgendwie nicht dazugehört und aus einer anderen Epoche stammt. Man könnte meinen, dass er zur Sehenswürdigkeit degradiert oder erhoben wird, kommt ganz auf die Perspektive an. War es einst das höchste Gebäude Polens, ein Symbol der Dominanz (Unterdrückung) des kommunistischen Regimes, so dient seine Aussichtsterrasse nun dazu, sich die Prachtbauten des Kapitalismus von unten anzuschauen.

Auf dem folgenden Video sieht man ganz gut, was gemeint ist.

Den Kulturpalast sprengen?

Es gab mal eine Zeit, da war die Kaczynski-Brüder relativ angesehe Bürger des Landes. Einer von ihnen war auch ziemlich normal, hatte eine Ehefrau, ein Kind, sprach rational und wurde sogar in Warschau zum Stadtpräsidenten gewählt und das in einer direkten Wahl. Der andere war und ist weiterhin etwas komisch, aber es ließ sich aushalten. Heute ist er der Chef der Chefs, man nennt ihn in Polen einfach „Prezes“ (dt. Vorsitzender). Sie waren sich nicht immer einig, aber gemein hatten sie vor allem eines: sie hassten den Kommunismus abgrundtief. Ende der 80er Jahre, während der Walesa-Ära, gehörten sie dem radikalen Lager an und wurden an den politischen Rand gestoßen.

Warschau ist ihre Heimat, sie stammen aus Zoliborz, dem Stadtviertel der Intelektuellen, Reichen und Einflußreichen. Der Kulturpalast war für sie natürlich ein Dorn im Auge. Sie wollten das Gebäude loswerden, abreißen. Sie wollten mit einer Sprengung des Kulturpalastes ein Signal in die Welt schicken, dass der Kommunismus tatsächlich, unter ihrer Herrschaft, besiegt worden ist. So wie wie die Franzosen den Sturm auf die Bastille feiern, so sollten die Polen ihre „Sprengung des Kulturpalastes“ haben. Doch das war für die Warschauer ein Schritt zu weit. Stattdessen wurde das Hochhaus unter Denkmalschutz gestellt. Und das ist auch gut so! Warschau ohne Kulturpalast kann man sich heute einfach nicht mehr vorstellen. Es ist Teil unserer Geschichte, mit welcher wir leben und umgehen lernen müssen.

Antoni Administrator
Europäer mit polnischem Herz und deutschem Hirn! Eigentümer des Touristikunternehmens Walking Poland Group, lizenzierter Stadtführer in Warschau, Fotograf, Jurist (1. Staatsexamen), Redakteur
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Antoni Administrator
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