Der Kultur- und Wissenschaftspalast in Warschau wird mit PKiN (Palac Kultury i Nauki) abgekürzt, was ausgesprochen Pekin(g) ergibt. Gebaut wurde der sandsteinerne Koloss auf Initiative von Jozef Putin … entschuldigt … Stalin. Er hat es jedoch, der Arme, nicht mehr erleben dürfen, wie er alles nur für ein Gebäude in den finanziellen Ruin getrieben hat. Der Teufel hat ihn zwei Jahre vor Fertigstellung des Gebäudes 1955 zu sich geholt. Verächtlich wird der Bau daher als Stalinstorte oder Stalin-Stachel bezeichnet. Dass sich die Zeiten ändern sieht man daran, dass die Jüngeren unter an das Empire State Buildung in New York denken, wenn sie im Restaurant Kulturalna, welches sich in einem der seitlichen Flügel befindet, ihre veganen Piroggen mit viel Liebe verspeisen.
Der Kulturpalast sollte sogar in die Luft gesprengt werden. Damit wollte man den Sturm auf die Bastille nachholen und das Ende des kommunistisch-sozrealistischen Absurdums plastisch darstellen. Aber der Kampf gegen die KGB, die Aufopferung der Solidarnosc und der Kampf um die Einträge in die Geschichtsbücher ist der Hälfte der Warschauer kein Begriff mehr und Sinnbild einer archaischen Welt. Geboren ist jene Hälfte nämlich nach 1990. Ich war sogar Zeuge eines Gespräches zweier junger Menschen, von denen der eine dem anderen erläuterte, dass „Stalin“ eine Wodkasorte sei, so wie Gorbatschow und Jelzin. Zitat:“Die Russen sind dem Wodka emotional sehr nah und benennen ihre Wodkas nach den Distilleriebesitzern“. Stalin, ein Branntweinbrenner!
Der Palast ist also geblieben und hat wahrscheinlich die schlimmste Zeit hinter sich. In zehn bis fünfzehn Jahren wird es nur noch eine handvoll Menschen geben, die wissen werden, wer diesen Klotz mitten in der Stadt aufgestellt hatte. Dann wird er womöglich gänzlich von anderen Wolkenkratzern umgeben sein. Seit Ende 2021 ist es auch nicht mehr das höchste Gebäude in Polen und Warschau. Es wurde vom Varso Tower übertrumpft.
Es scheint also, dass die Big-Benisierung … ach … das habe ich Euch noch gar nicht erzählt. Entschuldigt bitte die Ausschweifung. In Warschau kommt man nur sehr schwer zum Punkt, weil hier alles so verwoben und durcheinander ist. Das ist mit dem Kulturpalast nicht anders. Also, die Big-Benisierung. Es nährte sich 1999 das Ende des Jahrtausends und die Stadt Warschau wollte diesen Moment besonders zelebrieren. Man entschied sich, eine Uhr in der nicht genutzten Spitze des Kulturpalastes anzubringen. Um der Bevölkerung die Ausgaben entsprechend schmackhaft zu machen, suchte man nach einer sinnvollen Erklärung. Und die war schnell gefunden. Der Stadtpräsident von Warschau: „Wenn wir da oben eine Uhr anbringen, dann sieht das von Weitem aus wie der Big Ben in London. So werden wir das sowjetische Erbe endlich los und zeigen der Welt, wie sehr es uns nach Europa zieht“. So oder so ähnlich verlautete er die grandiose Idee. Man kann, wie die Franzosen, ein Gefängnis stürmen, anschließend eine Terrorherrschaft einführen, die gegenrevolutionäre Vendée abschlachten und sogar einen Fluß mit Franzosenblut färben. Oder man macht es wie die Polen, mit etwas Feingefühl und Stil bringt man eine Epoche zu Ende. So war das mit der Big-Benisierung des Kulturpalastes in Warschau!
Kommentare