Am 7. Dezember 1970 kniete Willy Brandt vor dem Denkmal der Helden des Jüdischen Ghettos nieder. Der Kniefall von Warschau ist aus der deutsch-polnischen Versöhnungsgeschichte trotz Anlaufschwierigkeiten nicht mehr wegzudenken. Das Moment des Niederkniens ist auf einem Bild verewigt worden, welches in nahezu allen Geschichtsbüchern über Deutschland und Polen wiederzufinden ist. Doch was ist davon geblieben in Anbetracht der schlechten Beziehungen zwischen beiden Ländern? Wer ist sich der Tragweite dieses Ereignisses noch bewusst?
Kritik von allen Seiten
Zunächst will ich mich noch an diejenigen wenden, die diesen Demutsakt damals kritisiert haben. Sowohl in Deutschland als auch in Polen. Einige sahen darin nur eine herabwürdigende Demütigung. Wie konnte sich der Kanzler nur vor diesem armen und kommunistischen Polen so erniedrigen? Doch es gibt keine Demut ohne Demütigung. Wer sich klein macht, gewinnt Größe. Das haben jene Kritiker jedoch nicht verstanden. Willy Brandt war ihnen allen weit voraus. Die Allgemeinheit in Deutschland sah es zwar nicht so streng, aber dennoch: bei einer Spiegel-Umfrage von 1970 hielten 48 Prozent der Befragten den Kniefall für übertrieben. Man bedenke dabei, dass es damals nur 46 Millionen Bundesbürger gab, die in einer viel kleineren Bundesrepublik lebten.
Und in Polen? Zunächst wusste die kommunistische Führung nicht, wie sie reagieren sollte. Im Hinblick auf die vor allem seit 1968 anhaltende aggressive antisemitische Haltung der Volksrepublik Polen bekamen die Juden nun zu viel Aufmerksamkeit in der Rolle als Opfer. Die Medien wurden angewiesen zurückhaltend über das Ereignis zu berichten. Das Foto mit dem Kniefall erreichte daher nur eine überschaubare Gruppe, viel zu wenige. Die, die es doch erfuhren, standen dem Kniefall zum Teil sehr kritisch gegenüber. Sie fragten sich, warum der Kanzler nicht den Aufständischen des Warschauer Aufstandes von 1944 huldigte? Die Gegenfrage wäre, wo er knien sollte, wenn man bedenkt, dass das Denkmal des Warschauer Aufstandes erst 1989 entstand? Für die Kommunisten waren beide Aufstände ein Dorn im Auge.
Die Anerkennung der Ostgrenze
Für die Ostpolitik bekam Willy Brandt 1971 den Friedensnobelpreis. Was kaum jemand weiß: noch vor dem Kniefall wurde ein Vertrag unterschrieben, der die deutsch-polnischen Beziehungen normalisieren sollte. Daher wurde auch die Oder-Neiße formell anerkannt, wenn auch unter Vorbehalt. Auch dahingehend verstand Willy Brandt den Geist der Zeit.
1945 wurden Polens Grenzen ohne Rücksicht auf die Geschichte, Traditionen und Lebenskultur verschoben wie Möbel beim Frühlingsputz. Hatte damals Winston Churchill noch die Glatzer Neiße östlich von Breslau gemeint, war Stalin der festen Überzeugung, dass es sich um die Lausitzer Neiße handele. Nur das eine Mal erwies sich Stalin nützlich. Er tat das nicht aus Liebe zu den Polen. Dieser Misanthrop und Verrückte wollte schon hier deutsch-polnische Ressentiments heraufbeschwören. Bis zur Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze 1970 hatten zahlreiche Familien in den neuen Gebieten im Westen Polens gepackte Koffer unter den Betten. Die neuen Bewohner kamen aus dem ehemaligen polnischen Gebieten im Osten, die nun zu den ukrainischen und weißrussichen Sowjetrepuliken gehörten. Polen waren dort unerwünscht und deswegen brutal vertrieben. Zeit ließ man ihnen keine, daher wollte man nun vorbereitet sein. Für den Fall der Fälle. Fragt man die heutigen Breslauer wo sie herkommen, beginnen sie oftmals mit ihren Vorfahren, die aus heute ukrainischen, damals polnischen Städten kamen, vor allem aus Lemberg, der Kulturhauptstadt der 2. Republik Polen.
Die SPD und die Ostpolitik
Auffällig ist noch eine Sache: Willy Brandt 1970, Gerhard Schröder, welcher bei den Gedenkfeierlichkeiten des Warschauer Aufstandes 2004 in Warschau war, Heiko Maas, der an den diesjährigen Feierlichkeiten teilnahm und Bundespräsident Steinmeier, der ebenfalls dieses Jahr im September anlässllich des Ausbruchs des 2. Weltkrieges mit Präsident Andrzej Duda durch Polen gereist ist, waren und sind Mitglieder der SPD. Der in deutschen Medien oft erwähnte Untergang der SPD wird für die deutsch-polnischen Beziehungen einen herben Rückschlag bedeuten. Mit der AfD wird es da nicht viel zu holen geben. Und die CDU? Diese hat aktuell ebenfalls andere Probleme als sich um die undankbaren Polen zu kümmern.
Die Geschichte gab ihm Recht
Der Willy-Brandt-Kniefall wird heute allgemein durchaus positiv beurteilt. Doch der Kniefall darf nicht als Einzelakt betrachtet werden. Es ist unbedingt notwendig ihn um die Botschaft der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder zur Versöhnung vom 18. November 1965 zu ergänzen. Entgegen jeder Kritik aus der polnischen Politik und Gesellschaft hatten die Würdenträger Mumm und Courage, das zu tun, was richtig war. Sie haben „vergeben und um Vergebung gebeten“. Es ist Schade, dass die Vorreiter der deutsch-polnischen Versöhnung nicht mehr die Autorität genießen, welche ihnen eigentlich zustehe.
Marek Edelmann, einer der Anführer des Jüdischen Aufstandes, kaum bekannt.
Wladyslaw Bartoszewski, Soldat der Polnischen Untergrundarmee (AK), Teilnehmer des Warschauer Aufstandes, Gefangener des KZs Auschwitz-Birkenau, ein Gerechter unter den Völkern und Außenminister in der 3. Republik Polen. In Deutschland kaum bekannt. In Polen zum Teil verhöhnt.
Jozef Retinger, Gründer der Europäischen Bewegung, eines Vorläufers der Europäischen Union. Wenn ich den Namen ausspreche, glauben viele, ich hätte mich verhaspelt und Josef Ratzinger gemeint. Schaut gleich nach, wer das war!
Diese Menschen sind nicht mehr unter uns, daher müssen andere ihre Aufgaben übernehmen. Die deutsch-polnische Versöhnung ist nicht abgeschlossen, die politischen Beziehungen nach 1990 waren nie schlechter. Hinzu kommt die unschöne und ungeklärte Frage der Reparationszahlungen auf.
In Zeiten der Unsicherheit brauchen wir Vorbilder und Autoritäten, an denen wir uns orientieren können. Und deshalb hat Willy Brandt alles richtig gemacht, als er 1970 in Warschau niederkniete. Vor allem heute, nach 49 Jahren, müssen wir uns wieder daran erinnern, was es noch zu tun gibt.
Ein Vorbild für alle
Das Wort des Tages sollte Demut sein. So wie Willy Brandt über sich hinwegschauen konnte, so müssen es ihm andere nachmachen. Es herrscht eine ziemlich schlechte Stimmung, die durch absurde Gründe entstanden ist. Megalomanen, Verrückte, Menschen mit Minderwertigkeitskomplexen und auch einfach dumme Persönlichkeiten auf den falschen politischen Positionen haben die Weltgemeinschaft mies gestimmt. Eine Minderheit gibt in vielen Staaten den Ton an, weil sie eine Weltuntergangsatmosphäre geschaffen hat, die sich nur in ihren Köpfen abspielt.
Demut also ist das Stichwort. Einfach mal abschalten, nachdenken, sich besinnen und Fehler zugestehen, auch wenn es manchmal schmerzt. Die Weihnachtszeit ist genau der richtige Zeitpunkt dafür.
Schlusswort
Eines möchte ich noch ergänzen, um es abzurunden. Es ist notwendig, dass sowohl Deutsche als auch Polen endlich anfangen sich professionell mit dem Nachbarland auseinanderzusetzen. In vorherigen Beitrag habe ich berichtet, welch skurrile Fragen deutsche Touristen in Warschau manchmal haben. Was auf der einen Seite lustig klingen mag, ich nach längerer Analyse sehr traurig. Die Polen haben über Deutschland ebenfalls beschämende Feststellungen, die schlicht gelogen und falsch sind. So hat Deutschland zum Beispiel gar keine Verfassung, weil sie Grundgesetz heißt.
Beide Gesellschaften müssen also beginnen die Beziehungen zu professionalisieren und sich mehr Mühe machen. Gedenkfeiern und Erinnerungen sind sinnvoll und notwendig, doch wir brauchen mehr Austausch und einen Willen für Verständnis. Gegenwärtig sind wir Nachbarn, die sich einen Guten Tag wünschen und gegenseitig die Blumen gießen. Und der Berlin-Warszawa-Express ist nur ein Transportmittel, das Kottlett füllt lediglich den Magen, das ist alles zu wenig. Es wird Zeit, dass wir erfahren, wer wir tatsächlich sind.
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