Es ist mitten in der Nacht, 17. September 1939. Waclaw Grzybowski wird aufgeweckt. Der Botschafter der 2. Republik Polen in der Sowjetunion soll sich unverzüglich beim russischen Außenministerium melden. Kurz vor Sonnenaufgang um 3 Uhr liest der Erste Stellvertretende Außenminister, Wladimir Potjomkin, den Text der diplomatischen Note vor. Russische Soldaten marschieren in Polen ein. Das ist das Ende. Noch bevor der Tag zu Ende geht, flieht die polnische Regierung nach Rumänien.
Die russische Note
Der Text der diplomatischen Note lautete wie folgt:
„Der deutsch-polnische Krieg offenbarte die innere Unfähigkeit des polnischen Staates. Nach zehntätigen Militäroperationen verlor Polen alle seine Industrieregionen sowie Kulturzentren. Warschau ist nicht mehr die Hauptstadt Polens. Die polnische Regierung ist zerschlagen und zeigt keine Lebenszeichen mehr. Das heißt, dass der polnische Staat und seine Regierung tatsächlich aufhörten zu existieren.
Demzufolge haben die Verträge zwischen der Sowjetunion und Polen an Rechtskraft verloren. Sich selbst überlassen und einer Führung entledigt ist Polen zum einem gemütlichen Terrain für alle Handlungen und Versuche geworden, welche eine Bedrohung für die Sowjetunion darstellen. Die bisher neutral gebliebene sowjetische Regierung kann in Anbetracht dieser Fakten nicht länger neutral bleiben.
Die sowjetische Regierung kann auch nicht gleichgültig auf das Los seiner Blutsbrüder schauen, der Ukrainer und Weissrussen, die das Gebiet Polens bewohnen und die ohne Schutz zurückgelassen wurden. Demnach hat die sowjetische Regierung dem Hauptkommando der Roten Armee (Dowodztwo Naczelne Armii Czerwonej) entsprechende Befehle erteilt, dass die Einheiten die Grenze überschreiten und das Leben wie auch Eigentum der Bewohner des westlichen Weissrusslands und der westlichen Ukraine schützen.
Zugleich wird die sowjetische Regierung alles in ihrer Macht stehende versuchen das polnische Volk vom unglückseligen Krieg zu befreien, zu welchem es die eigenen unvernünftigen Anführer geführt haben, und ihm ein Leben in Ruhe zu gewährleisten.
Unterzeichnet: Volkskommissar für Äußeres / Wiaczeslaw Molotow“.
Die polnische Antwort
Waclaw Grzybowski gehört sicherlich nicht zu den besten Botschaftern, die die 2. Republik Polen in die Welt hinausgeschickt hatte. Doch in dieser Situation hat er dem polnischen Staat alle Ehre gemacht. Viel mehr blieb ihm auch nicht. er nahm die Note nicht an und ging.
Seine Antwort an den Stellvertretenden Außenminister:
Polen existiert solange die polnische Armee kämpft.
Die russische Führung wollte den polnischen Botschafter nicht aus dem Lande lassen und einsperren. Auf Betreiben der deutschen Botschaft unter Leitung von Herrn Schulenburg wurde Herr Grzybowski samt Botschaftsmitarbeiter schließlich doch rausgelassen.
Der polnische Generalkonsul in Kiew Jerzy Matusinski hatte nicht so viel Glück. Er wurde sofort eingesperrt und am 8. Oktober 1939 ermordet. Wenn es keinen polnischen Staat gibt, gibt es demnach ja auch keine polnischen Konsuln. Sowjetische Logik.
Kein Staat, keine Kriegserklärung, kein Angreifer
Die Sowjetunion hat Polen 1939 Polen keinen Krieg erklärt. Formell hätte sie es jedoch machen müssen. Werfen wir zunächst einen Blick auf die Bestimmungen der Londoner Konventionen vom 3. Juli 1933 über die Bestimmung des Angreifers. Darin wurde der Angreifer so definiert, dass jeder Angriff oder Einfall wenn auch ohne Kriegserklärung als Aggression zu werten sei, und außerdem keine Erwägungen politischer, militärischer wirtschaftlicher oder anderer Natur als Entschuldigungsgrund oder Rechtfertigungsgrund gelten können. In der Konvention gibt es zudem eine Liste von Situationen, auf welche sich der Aggressor eben nicht berufen kann, um ein fremdes Staatsgebiet militärisch zu Überfallen. Dazu gehören u.a. die politische wie wirtschaftliche Situation des betroffenen Staates, Unruhen, Streik, Revolutionen oder Gegenrevolutionen, Bürgerkrieg oder auch die Beendigung von diplomatischen Beziehungen. Die sowjetische Führung hat diese Bestimmungen umgangen, indem sie einseitig erklärte, dass Polen nicht mehr existiert. Nach internationalem Recht jedoch hört ein Staat im Moment der Unterzeichnung des Friedensvertrages oder aufgrund einer vollständigen Eroberung (debellation) auf zu existieren. Am 17. September kämpfen von 25 von 33 Divisionen, die 1939 mobilisiert wurden, die Verwaltung ist intakt und mehr als die Hälfte des Staatsgebietes ist in polnischer Hand. Warschau kapitulierte erst zehn Tage nach dem Einfall der Sowjetunion. Die letzten regulären Kampfhandlungen fanden am 5. Oktober statt. Die Militärführungen sowohl Nazi-Deutschlands als auch der Sowjetunion sehen den 7. Oktober 1939 als den Tag an, an welchem die Kampfhandlungen auf polnischem Gebiet zu Ende gingen.
Die Sowjetunion auf der Klägerbank
Die Sowjets saßen bei den Nürnberger Prozessen auf der Klägerbank und auf den Richterstühlen. Eigentlich hätten sie verurteilt werden sollen, nicht viel milder als die nazionalsozialistischen Psychopathen. Alle außer die Polen wissen, dass in internationalen Beziehungen nicht Gerechtigkeit oder Wahrheit entscheiden, sondern die politische Macht – des Stärkeren.
Die Bilanz
Das Beitragsbild sagt alles über die Bilanz und die Folgen des sowjetischen Überfalls am 17. September 1939. Vertreibung, Demütigung, Raub und Mord. Mehr hatte die Sowjetunion nicht zu bieten. Gut, dass das Böse stets verliert. Schade nur, dass es immer so viel kosten und jemand dafür bezahlen muss.
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