Denn sie wissen nicht, was sie tun …
Am Donnerstag entscheidet der polnische Verfassungsgerichtshof, dass Abtreibungen in Polen im Prinzip nicht mehr legal durchgeführt werden dürfen. Es heißt in der Entscheidung, dass die Gesetze, die Schwangerschaftsabbrüche aufgrund von festgestellten Entwicklungsstörungen oder schweren Erkrankungen des Ungeborenen erlauben, nicht verfassungskonform sind. Es handelt sich um den Art. 4a Abs. 1 Pkt. 2 des Gesetzes über die Familienplanung, den Schutz des menschlichen Fötus und die Bedingungen der Zulassung eines Schwangerschaftsabbruches (…) vom 7. Januar 1993. Und genau dieser Gesetztesparagraph scheint gemäß der Mehrheit der Richter gegen die Normen der Artikel 38 iVm. Artikel 30 und Artikel 31 Abs. 3 der Verfassung von 1997 zu verstoßen.
Der Wortlaut dieser drei Artikel:
Die Würde des Menschen ist ihm angeboren und unveräußerlich. Sie bildet die Quelle der Freiheiten und Rechte des Menschen und des Staatsbürgers. Sie ist unverletzlich, ihre Beachtung und ihr Schutz ist Verpflichtung der öffentlichen Gewalt.
Einschränkungen, verfassungsrechtliche Freiheiten und Rechte zu genießen, dürfen nur in einem Gesetz beschlossen werden und nur dann, wenn sie in einem demokratischen Staat wegen seiner Sicherheit oder öffentlicher Ordnung oder zum Schutz der Umwelt, Gesundheit, der öffentlichen Moral oder der Freiheiten und Rechte anderer Personen notwendig sind. Diese Einschränkungen dürfen das Wesen der Freiheiten und Rechte nicht verletzen.
Die Republik Polen gewährleistet jedem Menschen rechtlichen Schutz des Lebens.
Man muss wirklich kein Profi sein um die Absurdität der Entscheidung des Tribunals festzustellen. Ganz zu schweigen davon, dass ein großer Teil der Richter und politischen Parteien die verfassungsgemäße Zusammensetzung der Richter des Verfassungstribunals gar nicht anerkennt.
Schlechtes Timing
Ich habe mir sofort zwei Fragen gestellt. Erstens: warum fällt man eine solche Entscheidung vor einem Wochenende? Und zweitens: warum macht man so was vor dem Wochenende, an welchem die Gastronomie und auch das soziale Leben quasi zum Stillstand gebracht wird? Dachte die Regierung etwa, dass wenn man das Versammlungsrecht einschränkt (max. 5 Personen), dann bleiben die Bürger trotz dieser schandvollen Entscheidung zu Hause? Man könnte meinen, dass die Exekutive gar nicht darauf schaut, was die Judikative so treibt, und andersherum. Aber die Gewaltenteilung ist in Polen aktuell ein Witz und eine Farce. Drahtzieher und Verantwortlicher allen Übels ist und bleibt vorerst Jaroslaw Kaczynski.
Und warum setzt er seine politische Allmacht aufs Spiel? Weil ihn womöglich Zbigniew Ziobro, Justizminister und Generalstaatsanwalt in einer Person und Vorsitzender der Partei Solidarna Polska, dazu gezwungen hatte, als vor ein paar Wochen ein Streit zwischen den Koalitionsparteien ausgebrochen ist. Ziobro vertritt das radikale Lager der regierenden Koalition bestehend aus den Parteien Recht und Gerechtigkeit (PiS), Solidarna Polska und Porozumienie (Jaroslaw Gowin).
Der Fall „links“
Auch die Geistlichen haben nichts anderes als Kritik verdient. Doch sie ahnen gar nicht, dass die Kirche in nur wenigen Jahren so enden wird wie in Spanien und Irland. Der Klerus hätte daraus lernen können, doch ist er hier nach dem großen Erfolg der 80er Jahre weiterhin verblendet von Ruhm und Ehre der 90er Jahre. Polen schreibt keine Geschichte und kann sich lediglich so gut wie nur möglich an die äußeren Umstände auf der Welt anpassen. Die polnische Gesellschaft fährt unweigerlich nach links, mit dem Zeitgeist, ob es das will oder nicht. Der Widerstand der Rechts-Blinker ist verständlich, aber ebenfalls nur notwendiges Übel bei der Rekonstruierung in eine liberale Gesellschaft. Das Episkopat und die Politelite muss also endlich verstehen, dass es nicht darum geht sich sinnlos zu wehren, sondern anzupassen, um Nutzen davon ziehen zu können.
Das ist Krieg
Beginn des Marsches am 23.10. in Warschau-Zoliborz vor dem Haus von Jaroslaw Kaczynski. Das Motto des Marsches: „jebac PiS“ (jebac – radikale ausdrucksweise von verpiss dich) und „to jest wojna“ (das ist Krieg).
Der Aufschrei, der seit der Entscheidung gar nicht verhallen will, ist geladen mit Frust und Trauer, Wut und Zorn. Alle haben die Schnauze voll. Gestern habe ich den Marsch über viele Kilometer hinweg beobachtet. Etwas ist in der Gesellschaft gebrochen. Bisher schien es, dass man noch bis zur nächsten Wahl warten könnte. Seit Donnerstag hat sich die regierende PiS selber abgeschossen. Die Entscheidung des Tribunals hat mich vollends angeekelt. Für alle Demonstranten ist klar: das Unrecht kann man doch nicht mit Recht bekämpfen. Was bleibt ist Krieg! Vor ein paar Wochen schrieb ich noch über einen kulturellen Bürgerkrieg. Ich habe nicht geahnt, dass sich dieser so schnell und so extrem radikalisieren würde.
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