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Im Spiegel las ich vor ein paar Tagen einen Artikel mit dem Titel „Aufstand gegen den Patriarchen“, bei dem es um die Demonstrationen nach der Urteilsverkündung des Verfassungsgerichtshofes ging, die sich vor insbesondere gegen Jaroslaw Kaczynski richteten. Und ja, der Autor hat völlig Recht, es ist ein Aufstand gegen den Vorsitzenden der regierenden Recht und Gerechtigkeit (PiS), gegen seine von Willkür geprägte und menschenverachtende Politik. Das ist jedoch nur zum Teil richtig und blendet den Prozess aus, der wesentlich weitere Kreise zieht. Natürlich wollen die Demonstranten und vor allem die Demonstrantinnen den Vorsitzenden Kaczynski und den für die Sicherheit verantwortlichen Vize-Premierminister loswerden und am liebsten auf die dunkle Seite des Mondes schicken. Aber es geht um wesentlich mehr. Was wir jetzt in Polen beobchten, ist eine Kulturrevolution verbunden mit einer Revolte gegen das Patriarchat. Es ist ein Prozess, der Polen in den weltweiten Kulturstrom einbindet. Ob es gefällt oder nicht!
Inhalt
Die Patriarchen
Aus Neugier darüber, was die Wissenschaft über die Bezeichnungen „Patriarch“ und „Patriarchat“ zu sagen, suchte ich kurze und bündige Definitionen. Gefunden habe ich vor allem drei sich wiederholende Bedeutungen. 1. Das Patriarchat als Obrigkeit der Kirche. 2. Das Patriarchat als hierarchisches Gesellschaftssystem vergangener Völkergruppen. 3. Ein von Männern dominiertes soziales System. Genau das sind die Patriarchate, gegen die sich als Ganzes die Jugend wehrt und Herr Kaczynski ist in diesem Ganzen nur ein kleines Puzzleteil, verbunden mit der ersten Definition, verloren in der zweiten und an der Spitze der dritten. Die Demonstrationen der letzten Tage richten sich gegen die polnische Kirche, gegen die Dominanz der Männer im staatlichen System sowie gegen die veraltete Gesellschaftsstruktur, die ihren Ursprung im 19. Jahrhundert hat. Ein Prozess, den andere Gesellschaften schon hinter sich haben und das was zeithistorisch gar nicht so lange her. Die Generation der zwanzigjährigen holt diese Rückständigkeit nun nach, auch weil meine Generation mit dem status quo zufrieden war.
Die Revoltierenden
Die Menschen sind nicht nur in Warschau und anderen Großstädten auf die Straßen gegangen. Auch kleine Städte wie Augustow, Wolbrom oder auch die PiS-Hochburg Krasnik haben sich gemäß der PiS-Terminologie „gegen das herrschende System aufgelehnt“. All diese Leute repräsentieren vor allem das aufkommende Bürgertum, in welchem sich der Frust, der Zorn und die Wut seit Jahren stauten. Diese radikal-liberale Gruppe hat sich in den Städten etabliert und weitet den Einfluß auf die Provinz aus. In einem früheren Artikel hatte ich darüber berichtet, dass Polens Gesellschaft zwar nach rechts blinkt, aber nach links abbiegt. Der Weg ist schon vorgegeben und man kann nur mitfahren und sich nach Möglichkeit anpassen. Der Prozess kennt keine Gnade, was nicht bedeutet, dass auch den Gegnern nicht genügend Freiraum überlassen wird.
Es lebe das Bürgertum
Der letzte Versuch der polnischen Stadtbevölkerung eine anerkannte und einflussnehmende Gruppe zu werden ist spätestens im 16. Jahrhundert am Widerstand des zahlenmäßig übergroßen Adels (szlachta) gescheitert. Nahezu jeder zehnte Bewohner des Landes gehörte damals dem Adelsstand an, zahlte keine Steuern und durfte nicht (physisch) arbeiten. Man könnte meinen, dass alles mit dem Propinationsgesetz Ende des 15. Jahrhunderts begonnen hatte, als diese große Adelsfamilie, die selber nicht hierarchisch organisiert war, vom König das Recht erhielt den Wodka selbst herstellen zu dürfen. Das Gesetz gewährte den Grundbesitzern ein Monopol auf die Herstellung und den Ausschank alkoholischer Getränkeauf ihrem Gutbesitz, insbesondere von Bier und Schnaps. Der Adel war nicht mehr auf die Städte angewiesen, denen diese Monopol genommen wurde. Mit der Zeit übernahm der Adel die Hauptrolle in der gesamtpolnischen Wirtschaft, was sich mit der Zeit rächen sollte.
Auch in anderen Lebensbereichen wurden die Städte zum reinen Beobachter zweiter Klasse degradiert. So nahmen keine Vertreter des Bürgertums an den freien Königswahlen ab Ende des 16. Jahrhunderts teil. Die Goldenen Freiheiten betrafen auch stets nur den Adel. Nach dem polnisch-schwedischen Krieg 1655-1660 verschwand das Bürgertum schließlich vom innen- und außenpolitischen, kulturellen und wirtschaftlichen Radar. Die Führungsrolle übernahmen die großen Magnatenfamilien, die aus dem Adel hervorgingen, und zwangen sogar den Landadel zum Gehorsam. Dieser Zustand bestand bis zum zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts. Weder die Zwischenkriegszeit noch die kommunistische Ära konnten daran etwas ändern. Die 2. Repulik hatte zu wenig Zeit und die komunisten waren am erstarkenden Bürgertum keinesfalls interessiert. Nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes blieben die Städte weiterhin lethargisch. Alles änderte sich ab 2004, als Polen Mitglied der EU wurde, und dann ab 2012, als die Welt zum ersten Mal ein stolzes polnisches Bürgertum im Entstehungszyklus erblickte. Warschau hat sich wie natürlich die Führungsrolle in diesem Prozess zugeteilt. Doch immer mehr Städte ziehen nach. Die Demonstrationen im Oktober 2020 haben gezeigt, wie weit die Entwicklung schon ist.
Die konservative Reaktion
Es musste irgendwann zu einer Gegenreaktion der konservativ-ländlichen Bevölkerung kommen. Die regierende PiS hat sich diese Gegenwehr zu Nutze gemacht und konnte 2015 das politische Ruder übernehmen. Unterstützung fand sie im Episkopat der Polnischen Katholischen Kirche und zahlreichen nationalistischen Grupierungen wie der ONR. Gewählt wurde die PiS von den größten Verlierern der 3. Republik (ab 1990), also der Generation 50+ und den frustierten Männern, deren Frauen in den Städten Karriere machen und der Provinz den Rücken kehren. Die neue Führung begann einen aggressiven Kulturkampf gegen die „links-liberale bolschewistische Stadtbevölkerung mit den Feministen und Feministinnen, den Atheisten und neureichen Hipstern an der Spitze, die unter dem Deckmantel der liberalen Demokratie scheinheilig die LGBT-Ideologie verbreiten“. Der Kulturkampf soll dem Liberalisierungsprozess Einhalt gebieten und die Gesellschaft auf den „normalen Weg der Entwicklung“ bringen. Auf der rechten Seite herrscht die Überzeugung, dass man Herr der Lage ist und dass die Beschützer polnischer Traditionen in der Mehrheit sind.
Auch die Kirche hat sich diesem Kampf angeschlossen und ist überzeugt, dass es derselbe Kampf ist, den sie an der Seite der Solidarnosc in den 80ern geführt hat. Die polnische Kirche hat allerdings das Zeitgeschehen in Polen und auf der Welt trotz jahrhundertelanger Erfahrung fehlinterpretiert und sich für die falsche Seite entschieden. Sie wird ihren Platz in der neuen Gesellschaft finden, aber die älteste polnische Institution schwächelt. Der Vatikan verliert seine letzte Bastion im christlichen Europa.
Nächste Station: Liberalismus
Die Zeit, als die Väter und Großväter, Mütter und Großmütter den Kindern und Enkeln die Welt erklärten, ist vorbei. Der Weg zum Verständnis der polnischen Seele geht nicht mehr durch die Kirche, alte Traditionen, Piroggen und die polnische Gastfreundlichkeit, sondern durch den Zeitgeist im Globalen Dorf. Die polnische Gesellschaft ist auf dem Weg zum gelebten Liberalismus, vorher muss sie jedoch mit der Gesellschaftsform des 19. Jahrhundert brechen.
Es ist schlimmer als wir glauben
Um eine Situation zu beschreiben ist eine entsprechende Perspektive ratsam. In Warschau haben genauso viele Frauen wie Männer eine Führungsposition und in den 60ern war Wanda Moscicka in der Firma Wodka Wyborowa so weit oben, dass die Auslandskorrespondenten große Augen machten. Doch diese Perspektive ist irreführend. Auf zahlreichen Wirtschaftsfora in Polen sieht man das wahre Bild der polnischen Wirtschaftselite. Die Frauen sind dort meistens die Ehefrauen der Manager oder sie stehen hinter der Werbetheke von Biedronka. Im aktuellen Kader der polnischen Regierung sitzt nur eine (!) Frau. Im der parlamentarischen Gruppe für Entbindungsangelenheiten sitzen drei Männer, alle von der Konföderation, deren Vorsitzender den Frauen das Recht auf Abtreibung zusprechen will, sofern der Mann darüber entscheiden darf. Die polnische Gesellschaft hat eine Kultur aufgebaut, die den zweiten als ersten Verlierer bezeichnet und die Frauen, Fahrradfahrer, Lehrer, Krankenpfleger, Ärzte und LGBT-Personen zur Aufopferung für das Wohl der Vaterlandes zwingen will. Zugleich glauben viele dass ein großes Auto, die Dicke des Portemonaies oder sogar das Geschlecht ihnen das Recht verleihen über das Los Anderer zu entscheiden.
Der Prozess
Es gilt also sich dem Weltstrom anzuschließen und eine Gesellschaftsordnung zu schaffen, die es uns erlaubt sich weiter zu entwickeln. Polen schreibt keine Geschichte. Wir können und müssen mitmachen, wir müssen jedoch lernen loszulassen.
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