Aktualisiert am 26.03.2019
Noch vor 2 Tagen haben wir über den Smog-Alarm in Warschau berichtet und nun diese Überschrift. Das mag sicherlich etwas verwundern, es ist jedoch unser voller Ernst. In letzter Zeit hört man sehr viel über die Smog-Gefahr nicht nur in Warschau, sondern auch in Polen. Das Land schneidet insgesamt nicht besonders gut ab. Allerdings vermisse ich in vielen Artikeln den positiven Zusatz, dass viele Behörden, und vor allem die Warschauer Stadtverwaltung, nicht einfach zuschauen, sondern sich Mühe geben dieses Problem in den Griff zu bekommen. Daher soll hier ein kleiner Beitrag geleistet werden. Eine Art Werschätzung der armen Beamten, denen diese Lobrede gewidmet ist.
Warschau auf der Anklagebank
Die Schauspielerin Katarzyna Ankudowicz hat die Stadt Warschau und das Schatzamt im Februar 2019 wegen der letztjärigen Luftverschmutzung angeklagt. Die Einatmung der verunreinigten Luft verletze ihre Grundrechte, vor allem das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Dafür verlangt sie 5000 PLN Schadensersatz. Noch im Januar hat Grazyna Wolszczak, ebenfalls Schauspielerin, einen solchen Rechtsfall gewinnen können.
Im April 2019 soll gegen die Stadt eine Sammelklage erhoben werden. Auf www.pozywamsmog.eu kann man sich anschließen.
Es gibt keine europäischen Grenzwerte
Im Beitrag über den Smogalarm in Warschau, der den Bewohner kostenlose öffentliche Verkehrsmittel beschert, habe ich erwähnt, dass es keine europäischen Grenzwerte gibt. Man kann die Luftqualität europäischer Städte und Länder nur ins Verhältnis setzen, wenn die Bestimmungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Maßstab genommen werden. Die WHO sieht die Menschen in luftiger Sicherheit, wenn der PM10-Wert von 50 µg/m³ nicht überschritten wird. In Polen wird hingegen erst ab 300 µg/m³ Alarm geschlagen. Warschau widerrum ruft einen Alarm ab 100 µg/m³ aus. Auf der Internetseite des Europäischen Parlaments gibt es lediglich eine kleine Übersicht zum Thema Luftverschmutzung und Lärmbelästigung (Quelle). Das Thema Luftqualität wird in zwei Richtlinien behandelt (Richtlinie 2008/50/EG über Luftqualität (link) und Richtlinie 2001/81/EG über nationale Emissionshöchstmengen (link). Die Erste gibt jedoch nur Zielwerte und nicht Grenzwerte an und soll helfen die Luftqualität auf Dauer zu verbessern. Die Zweite enthält nationale Emissionsgrenzwerte für vier wichtige Luftschadstoffe (SO2, NOx, flüchtige organische Verbindungen außer Methan (NMVOC) und Ammoniak), die Ursachen für Versauerung, bodennahes Ozon und Eutrophierung sind, um die Auswirkungen dieser Schadstoffe zu begrenzen, wobei die Jahre 2010 und 2020 als Vergleichswerte herangezogen werden. Von PM2,5 wie PM10 keine Spur. Wenn es also keine europäischen Grenzwerte gibt, kann man auch keine Verstöße begehen.
Autos und Kaminöfen
Die höchste Kontrollinstanz in Polen (Najwyższa Izba Kontroli) hat einen Bericht verfasst, in dem es hieß, dass die niedrige Emissivität zu 82 bis 92,8 Prozent für die Luftverschmutzung verantwortlich ist. In Warschau gibt es auf dem Stadtgebiet ca.20 000 Kaminöfen in privaten Häusern. Die Stadt will die Modernisierung dieser Öfen mitfinanzieren und die Gebäudeisolierungen vorantreiben. Paradoxerweise kommt 40 bis 60 Prozent der Luftverpestung aus den umliegenden Dörfern und Vorstädten, wo hauptsächlich Einfamilienhäuser stehen. Und was dort in den Kamin gestopft wird ist alles andere als akzeptabel. Leider kennt die Luftverpestung keine Verwaltungsgrenzen. Die Grünen Männchen, die man hier des öfteren am Himmel vorbeischweben sieht, sind wahrscheinlich nur die am Himmel schwebenden wohlgeformten und wohlriechenden Kaminwölkchen.

Autos sind nur zu 5,4 – 7 Prozent und die Industrie zu 1,8 – 9 Prozent der Verschmutzung verantwortlich. Allerdings gelten diese Werte für das ganze Land. Die Ergebnisse können also regional stark variieren. 2011 waren die Autos in Warschau für bis zu 63 Prozent der PM10-Werte verantworlich. Und hier noch eine sehr interessante Information: die Autos verpesten die Luft hauptsächlich dadurch, dass sie DAS aufwirbeln, was auf der Straße rumliegt. Nur bei 7 Prozent liegt der Anteil bei dem, was aus dem Auspuff kommt und mehr als 10 Prozent durch das Zurückbleiben der Reste der Verschleißteile wie Bremsen und Reifen.
In diesem Kontext erscheint es nur sinnvoll, dass die Sicherheitsbehörden anordnen, dass die Straßen regelmäßig geputzt werden. Doch im Winter ist das aufgrund der niedrigen Temperaturen unmöglich. Die Straßen würden sich nämlich in eine gefährliche Eisbahn verwandeln.
Es macht jedoch Sinn den Autoverkehr zu begrenzen. Als am 15. Dezember 2016 der ÖPNV kostenlos angeboten wurde, stieg die Anzahl der Passagiere um 15 Prozent. Dieses Vorgehen wurde am Montag 09.01.2017 wiederholt und stieß auf harsche Kritik, weil es (angeblich) nichts bringen würde. Beweise wurden nicht vorgelegt. Wie man jedoch sehen kann, wissen es die Beamten manchmal dann doch besser.
Warschau kämpft für bessere Luft
Die Beamten sind also nicht immer die Bösen. Oder zumindest nicht alle. Die Stadt kann nur durch ihre Beamten handeln, daher diese meine Bewertung.
Das Fahrradverleihsystem Veturilo hat in den letzten 5 Jahren eine großartige Karriere hinter sich und gehört mittlerweile zu den 5 größten Verleihsystemen dieser Art in Europa. Man merkt, dass die Bewohner Warschaus von Jahr zu Jahr immer lieber aufs Fahrrad steigen. 2,7 Milliarden PLN werden jährlich in das öffentliche Verkehrsnetz investiert, also fast 20 Prozent des Warschauer Budgets. Der Anteil der Passagiere im öffentlichen Verkehrsnetz ist in Warschau äußerst hoch. Man schlug sogar vor, dass alten Autos die Einfuhr auf das Stadtgebiet verwehrt bleibt, doch das müsste durch das Landesparlament entschieden werden. Bevor es zur 1. Lesung kam, war das Projekt auch schon verworfen. Man dachte dabei an diejenigen, die sich kein neueres Modell leisten könnten und fürchtete um den Verlust zahlreicher Wählerstimmen bei der nächsten Wahl.
Bisher blieb das Vorgehen erfolglos, aber Warschau hat versprochen den politischen Druck zu erhöhen. Vielleicht ist der laute Aufschrei der letzten Tage und Wochen eine gute Gelegenheit oder sogar ein weiterer Versuch, dieses Thema an die Menschen zu bringen.Auch verlangt die Stadt Warschau, dass die Parkgebühren endlich angehoben werden. Dies ist nämlich Sache des Staates und nicht der Städte. Momentan ist es so, dass an Wochenenden Parken in Warschau konstenlos ist und an Werktagen nur von 8:00 Uhr bis 18:00 Uhr bezahlt werden muss. Die Warschauer Stadtverwaltung wäre da sicher nicht so großzügig.
Ergänzung 21.08.2017: Ab heute bis zum 02. September werden in Warschau an 55 Auto-Kontrollstationen umsonst die Fahrzeuge überprüft. Unter anderem wird die Abgasuntersuchung empfohlen. Die Aktion soll, so die Vize-Präsidentin der Stadt Renata Kaznowska, dazu beitragen die Luftqualität in der Stadt zu verbessern.

Smo42 CC BY-NC 2.0
Erg#nzung 22.08.2017: Die Polnische Bergbau-Gruppe (polnisch Polska Grupa Górnicza), das größte Bergbauunternehmen und größter Steinkohleproduzent in Europa, gab bekannt, dass der Abfall, der bei der Kohleproduktion entsteht, nicht mehr verkauft wird – weder an private Haushalte noch an die Kommunen. Zwar werde dadurch die Kohle zwar teurer, doch die Luft sauberer.
Aufgrund des niedrigen Preises verbrennen sogar 50 Prozent derjenigen Haushalte, die mit Kohle heizen, diese qualitativ niedrige Kohle. Insgesamt sind es in Polen 3,5 Millionen Haushalte.
Diese Entscheidung hängt im Zusammenhang mit der Einführung von Gesetzen, die die Haushalte zwingen die veralteten Öfen gegen neuere Modelle auszutauschen und nur noch mit hochwertiger Kohle zu versorgen.
21.11.2017 Die Wojewodschaft Masowien beschließt Anti-Smog-Gesetz
Jede Wojewodschaft in Polen hat ihr eigene Parlament. Während das Landesparlament Sejm genannt wird, heißen die Wojewodschaftsparlamente Sejmiki. In Masowien wurde am 24. Oktober 2017 über ein Anti-Smog-Gesetz beschlossen. Ein solches Gesetz wurde mittlerweile in den Wojewodschaften Schlesien (Śląsk) und Kleinpolen (Małopolska) eingeführt. Durch die Einführung der Bestimmung wird den Haushalten verboten einen Brennofen zu installieren, der nicht mindestens die Klasse V hat. Das hängt mit den Bestimmungen des Öko-Projektes zusammen. Dazu später mehr.
Alle 38 Abgeordneten haben mit Ja gestimmt! Politisch gab es hier keine Differenzen – wie so oft im größeren Sejm. Das Gesetz tritt somit zwei Wochen nach der Abstimmung in Kraft.
Weiterhin wird man die alten Öfen innerhalb der nächsten 5 Jahre auswechseln müssen. Die Öfen der Klassen III und IV dürfen nur bis 2028 genutzt werden.
Alle sind sich einig, dass dieses Vorgehen nicht das Smog-Problem lösen wird. Doch es ist der richtige Weg in Richtung sauberer Luft.
Dass es zu dieser Abstimmung kam, liegt vor allem an der starken Beteiligung von drei Gruppen – Akcja Demokracja (Aktion Demokratie), Warszawa bez smogu (Warschau ohne Smog) und Warszawski Alarm Smogowy (Warschauer Smog-Alarm). Sie fanden sich am Tag der Abstimmung mit einer Unterschriftenliste vor dem Sejmik ein und forderten eine positives Abstimmungsergebnis. Das meinte ich, als ich sagte, dass der politische Druck stetig wachsen wird.
2028 müssten in Warschau und Masowien somit alle Öfen, gemäß der Bestimmungen der Europäischen Union, die höchste Klasse V haben. Man wird es beobachten.
Kosten
Man schätzt die Umrüstungskoten auf 4,5 bis 11 Milliarden PLN.
Kommentare