Smolensk! Nur beim Aussprechen des Namens bekommt der Pole eine Gänsehaut, die Augen rollen und mit einem Seufzer will man schon loslegen, obwohl noch niemand eine Frage gestellt hatte. Diese Stadt in der Russischen Föderation verbirgt in ihrer Geschichte viele emotionsgeladene Ereignisse der polnisch-russischen Nachbarschaft. Lies: russisch-polnischer Kampf um die Dominanz in dieser weitläufigen Region. Entgegen der herrschenden Meinung mussten nicht nur die Polen Schläge einstecken. Über viele Jahrhunderte hindurch war das Königreich Polen (Rzeczpospolita Polska) die dominierende Macht zwischen der Oder und dem Uralgebirge.
Diese Dominanz bestätigte sich im polnisch-russischen Krieg 1609-1618. Am 13. Juni 1611 nahmen polnische Einheiten die Festung Smolensk ein. Ein halbes Jahr zuvor marschierten die Polen in Moskau ein und verschleppten den Zaren Wassili IV. nach Warschau, wo er am 29. Oktober 1610 im Königsschloss dem polnischen König Sigismund III. Wasa huldigte.

Inhalt
Das Tor von Smolensk
In der Geschichte der 1. Rzeczpospolita (15. Jahrhundert bis 1795) führte das polnische Königreich sehr wenige Angriffskriege. Im Jahre 1609 war es dann aber doch soweit. Sigismund III. Wasa wollte die Überlegenheit im Osten Europas auf ein maximum ausweiten und zum alleinigen Herrscher über das Gebiet zwischen Oder und Uralgebirge werden. So wollte er den privaten Krieg um die schwedische Königskrone zu seinen Gunsten beenden.
1609 wurde den Moskowiten der Krieg ausgesprochen. Das erste Ziel war die unter König Sigismund I. dem Alten verlorene Festung Smolensk, welche damals zu den mächtigsten Festungen im Zarenreich gehörte. Sie war der Schlüssel nach Moskau. Das sogenannte Smolensker Tor war ein schmaler Durchgang zwischen den Flüssen Dzwina und Dnepr und somit der kürzeste Weg nach Moskau. Die Polen gingen mit den Weiten dieser Gebiete sehr geschickt um. Vor allem die polnische Hussaria, die erfolgreichste Kavallerie der Neuzeit, konnte auf den großen und weitläufigen Schlachtfeldern Osteuropas ihre volle Schlagkraft ausnutzen. Napoleon und später Adolf Hitler unterschätzten die östlich von Smolensk immer länger werdenden Versorgungslinien und scheiterten.
Am 13. Juni 1611 wurde die Festungsstadt erobert und gehörte nach 97 Jahren wieder zum Königreich Polen. Wenn man es genau nimmt, wurde es dem Großfürstentum Litauen angeschlossen. Dieser status quo währte nicht lang. Schon 1654 wurde die Festung von Moskau zurückerobert.
Am 11. Dezember 1618 wurde in Deulino, 80 Kilometer nordöstlich von Moskau, zwischen Polen-Litauen und dem Russischen Zarenreich ein Waffenstillstandsabkommen geschlossen. Der Vertrag führte zur größten territorialen Ausdehung der Rzeczpospolita im Osten.

Die ungenutzte Chance
Es war aus heutiger Sicht einer der größten geostrategischen Fehler das damals relativ schwache Reich Moskaus endgültig von der Landkarte zu fegen. Vorbilder für solches Vorgehen gab es in Westeuropa zu genüge. Damals war das polnische Reich stark und mächtig genug, um den Erzfeind zu eliminieren. Insbesondere nach der Zeit von Ivan dem Schrecklichen, der sich zum Zaren ernannte und verkündete, alle russischen Länder zu vereinen. Damit waren also auch unter polnischer sowie litauischer Hochheit stehende Gebiete gemeint.
Ein weiteres Beispiel war die fehlende Konsequenz in der Vernichtung des Deutschritterordens. Erst wurde Könglich-Preußen zum Lehen der polnischen Krone. Später jedoch zum Aggressor während der drei polnischen Teilungen, zusammen mit dem russischen Imperium.
Das bekriegte Smolensk
Vom 9. Jahrhundert bis 1240 war Smolensk Teil der Kiewer Rus.
1395 wurde die Stadt in das Großfürstentum Litauen eingegliedert und blieb (mit kleinen Unterbrechungen) bis 1514 Teil des Reiches. Während des moskauisch-litauischen Krieges 1500-1503 belagerten die Russen die Festung zum ersten Mal. Doch erst der moskauisch-litauische Krieg 1512-1522 brachte die Machtübernahme der Russen mit sich. Von 1514 bis 1611 war Smolensk Teil des Großfürstentums Moskau.
Während des polnisch-russischen Krieges 1609-1618 wurde die Stadt am 13. Juni 1611 Teil des polnisch-litauischen Commonwealth (Rzeczpospolita Obojga Narodow).
Nach dem Tod von Sigismund III. Wasa überquerten die Russen die polnisch-russische Grenze und belagerten Smolensk. So begann der russisch-polnische Krieg 1632-1634.
Der nächste Krieg brach 1654 aus und dauerte bis 1667. Schon zu Anfang des Krieges eroberte Zar Alexei I. Romanow die Festung, welche noch zahlreiche Male verteidigt werden musste:
- 1708 während des schwedisch-russischen Krieges (Sieg der Schweden)
- 1812 während des Russlandfeldzuges Napoleons. Am 17. August 1812 marschierten polnische Truppen in Smolensk ein. Erst Stunden später die Französischen.
- 1941 wird Smolensk von deutschen Truppen erobert und nahezu völlig zerstört. 1943 wird die Stadt wieder der Sowjetunion eingegliedert
Die polnisch-russischen Beziehungen
Im nationalen Bewusstsein sind zudem die Katyn-Morde von 1940. Ca. 20 000 polnische Offiziere fielen diesem Massaker zum Opfer. Erst 1990 gab die sowjetische Führung zu, dass die Sowjetunion für die Morde verantwortlich ist. Katyn liegt ca. 25 Kilometer von Smolensk entfernt.
Am 10. April 2010 stürzte die Regierungsmaschine beim Landeanflug auf die Landebahn bei Smolensk ab. Es starben 96 Personen, darunter auch der polnische Präsident Lech Kaczynski. Die Delegation war auf dem Weg zu den Gedenkfeierlichkeiten des 70. Jahrestages der Katyn-Morde.
Die Zahl der Kriege und Belagerungen, die Brutalität der Katyn-Morde und das Drama des Flugzeugabsturzes zeigen, wie angespannt die russisch-polnischen Beziehungen schon immer waren. In der ganzen Geschichte der beiden Länder lässt sich kaum ein positiver Moment finden, der Hoffnung geben könnte auf eine bessere Zukunft. Der Weg zu einer Versöhnung nach polnisch-deutschem Vorbild scheint noch ein ganz langer zu sein.
Warum dann dieser Beitrag? Damit klar wird, womit wir es bei den Beziehungen zwischen Polen und Russland zu tun haben. Oft werde ich gefragt, warum es zwischen den Polen und Russen so große Ressentiments gibt. Als ob die Sowjetunion mit ihren Gräueltaten nicht schon Grund genug wäre. Da gibt es aber auch noch weitere 7 Jahrhunderte, während welcher die Schwäche des Einen schmalos von dem Anderen ausgenutzt wurde. Vor der Geschichte darf man nicht weglaufen und muss sie sich vergegenwärtigen. Dann erst wird man die andere Seite verstehen können. Für eine bessere Zukunft – unweigerlich Seite an Seite – müssen sich jedoch beide Parteien einsetzen. Und hier liegt der Hund begraben.
Kommentare