Feuilleton

Wir stecken alle mit drin!

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Nach dem Mord am Stadtpräsidenten von Danzig Pawel Adamowicz wird hierzulande und auch im Ausland viel über die Hasssprache in Polen gesprochen.

Die Sichtweise, dass die Hasssprache nur in Polen ein Problem ist, ist von Grund auf falsch. Es ist jedoch auch in dieser Hinsicht nur natürlich, dass die deutschen, französischen oder britischen Medien gerne den erzieherischen Einfluss auf die jeweilige Bevölkerung ausnutzen, um von den eigenen Problemen abzulenken. Dahingehend sind sich die dortigen Medien und die Politik einig. Wir wissen nur allzu gut, dass es ein Leichtes ist die Fehler des anderen anzusprechen und die Unerzogenen besserwisserisch zu belehren. Manchmal fällt es gar nicht mehr auf, dass es auch die eigenen Fehler sind, die man so offenherzig bespricht. Zeigen Sie mal mit einem Finger auf jemand anderen und zählen Sie dann diejenigen, die auf einen selber gerichtet sind.

Alles ist ein Prozess

Aus weiterer Betrachtung stellt sich heraus, dass es eigentlich keine gesonderten Probleme gibt. Natürlich kann es sein, dass diese nicht immer gleichzeitig in jeder Gesellschaft auftreten und doch sind es letzten Endes dieselben Erfahrungen und Schlüsse. Mit Gesellschaften ist es nicht viel anders als mit Individuen auf der ganzen Welt und doch befindet sich jedes Individuum innerhalb seiner Gesellschaft in einer anderen epochalen Entwicklung derselben. Die Probleme bleiben trotzdem identisch. Vor allem in einer so vernetzten Welt wie der unseren bereiten die unterschiedlichen Entwicklungsstadien der Staaten der Weltgemeinschaft Schwierigkeiten bei der Beurteilung. Daher verfasst man gerne verallgemeinernde Analysen, die mit der Realität oftmals nichts zu tun haben. Vor allem aber ignorieren diese die Unterschiede, die jede Gesellschaft und Kultur mit sich bringt.

Doch es ist alles nur ein Prozess und wir alle stecken mit drin! Auch wir Europäer befinden uns in einem Prozess und die Krise der Europäischen Union ist nur ein kleiner Ausschnitt dessen, worum es aktuell eigentlich geht.

Sieht nicht gut aus

Der politische Schwerpunkt ist von links nach rechts gerutscht, was nur allzu gut in der sich häufenden Anzahl der “Exits” zu sehen ist. Zwar ist es erst zu einem gekommen, doch das ist auch womöglich erst ein Prozess. Die Gesellschaften sind konservativer, unzufriedener, radikaler und hasserfüllter. Diejenigen, die an die Macht wollen, nutzen das aus. Diejenigen, die an der Macht bleiben wollen, werden sich wehren. Die Flüchtlingskrise, welche nur ein sanftes Vorspiel für die eigentliche Katastrophe ist, verstärkt den Verlust der Autorität der Europäischen Union und deren Politiker und bietet der Politwelt lediglich ein Schachbrett für ihre dilettantischen Schachzüge.

Doch auch die ganze Weltordnung ist seit einiger Zeit nicht mehr die, welche wir seit 1991 kannten. Damals war die Welt von der Pax Americana in Sicherheit gehüllt und Francis Fukuyama sprach vom Ende der Geschichte. Doch plötzlich scheint der Terrorismus Überhand zu gewinnen, es folgt die Krise 2007-2009, die westlichen Staaten fallen in Rezessionen, deren Schuldenlast nimmt unvorstellbare Größen an und schließlich verschiebt sich das Epizentrum internationaler Beziehungen in den Pazifikraum.

Das ist jedoch alles so sehr miteinander vernetzt, dass man nicht mit ernsthafter Miene behaupten kann, dass auch nur ein Staat in Europa in irgendeiner Hinsicht von diesem Prozess losgelöst ist.

Eine solche Loslösung vom ganzheitlichen Prozess kann als subjektive Prozessblase dargestellt werden. Jeder, der drinsteckt, glaubt für sich selber alles richtig zu machen. Die eigenen Handlungen werden nicht hinterfragt, somit liegen alle falsch, die damit nicht einverstanden sind. Man ignoriert den Entwicklungsstand, die Sorgen und den Geschichtsbalast des anderen. Am Ende belehren wir uns alle Gegenseitig.

Die polnische Betrachtungsweise

Wir Polen stecken leider auch (zu oft) in einer subjektiven Prozessblase fest. Zum Beispiel wird aktuell viel darüber diskutiert, warum der polnische Staat nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nahezu das gesamte Staatsvermögen privatisiert hatte. Man vermutet geheime Machenschaften, die dazu geführt haben. Lech Walesa könnte dabei sogar als Agent der KGB mitgewirkt haben. Doch Polen verhielt sich damit alles andere als irrational. Polen befand sich damals einfach in dem System, welches mit dem Washingtoner Konsens geglaubt hat, ein Heilmittel für ein friedvolles Miteinander gefunden zu haben. Dieser Konsens war es, welchem die neue demokratische Elite Polens folgte. Warum hätte Polen gegen den Strom laufen sollen?
Wir Polen sprechen davon, dass dieses Land mehrmals von Briten, Franzosen oder Deutschen politisch hintergangen und erniedrigt wurde, ohne dabei auf den eigentlichen Prozess zu achten. Daher lernen wir in politischer Hinsicht nie dazu, denn wir bilden uns ein, dass Moral in der Politik einen hohen Stellenwert hat und blenden alles um uns herum aus. Die polnische Elite war immer voll von Idealisten ohne politischen Realitätssinn. Und das nur , weil wir die Prozesse nicht erkennen (wollen/können).

Wir stecken alle mit drin

Um es also auf die Hasssprache und den polnisch-polnischen Krieg zu projizieren. Die Hasssprache ist aktuell ein Prozess, mit welchem wir alle zu kämpfen haben. Dass man dieses Problem in Polen sieht, rührt vielleicht nur daher, dass man es bei sich zu Hause nicht sehen möchte. Doch es gibt sie, den deutsch-deutschen Krieg, den französisch-französischen und den britisch-britischen Krieg. Auch andere Staaten erleben eine beunruhigende Spaltung der Gesellschaft. Oder wie erklären Sie sich die AfD im Bundestag, revolutionsartige Zustände in Frankreich oder den Brexit, für den auf einmal niemand gestimmt hatte?

Wir stecken also alle mit drin in unserem europäisch-europäischen Krieg. 


Beitragsbild: All powerful …. von ClaraDon via Flickr [CC BY-NC-ND 2.0]

Antoni Administrator
Europäer mit polnischem Herz und deutschem Hirn! Eigentümer des Touristikunternehmens Walking Poland Group, lizenzierter Stadtführer in Warschau, Fotograf, Jurist (1. Staatsexamen), Redakteur
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