Es ist immer wieder schön in einer Stadt zu leben, aus welcher eine welt- oder landesweit bekannte Persönlichkeit stammt oder noch besser ein konkretes Produkt. In Warschau muss man sich dahingehend aktiv auf die Suche machen, aber wer suchet der findet. Einfacher ist es die Persönlichkeiten aufzuspüren. Das sind in Warschau vor allem Frédéric Chopin, Robert Lewandowski oder Jaroslaw Kaczynski. Doch Chopin verbindet man weltweit mit Paris, Lewandowski mit München und Herrn Kaczynski will hier niemand. Produkte sind besser, weil man diese nur schwer vom Herkunfsort trennen kann. Und es gibt in Warschau etwas, was untrennbar mit dieser Stadt vereint ist. Die Wedel-Schokolade.
Aus deutschem Lande

Da die Familie Wedel ursprünglich aus Deutschland stammt, möchte ich Euch hier eine Erfolgsgeschichte erzählen, die durch eine deutsch-polnische Zusammenarbeit entstanden ist.
Wir schreiben das Jahr 1851. Die Wunden nach dem blutig niedergeschlagenen Novemberaufstand von 1829-1831 waren noch nicht verheilt und die Söhne des Aufstandes bereiteten sich schon für die nächste Revolte gegen den verhassten russischen Doppelkopfadler vor (Januaraufstand 1863). Polen eixstierte zwischen 1795 und 1918 nicht als eigenständiger Staat und Warschau war die Hauptstadt des auf dem Wiener Kongreß geschaffenen und mit Russland in einer Personalunion vereinten Königreiches Polen, welches als Kongreßpolen bezeichnet wurde.
Zwischen diesen beiden polnischen Aufständen entscheidet sich Karl Ernest Heinrich Wedel seine Heimat Berlin zu verlassen und nach Warschau zu ziehen. Ich muss sagen: eine ziemlich unspektakuläre Geschichte. Und deshalb wurden womöglich Mythen erzählt, dass Karl ein preußischer Agent war, der in Warschau spionieren sollte. Schließlich war Warschau für die Russen die erste Festung die sie im Falle eines Krieges gegen Preußen verteidigen würden und wie eine Festung wurde diese Stadt im 19. Jahrhundert auch behandelt. Aber zurück zur Spionage, am besten blendet Ihr diese Theorie einfach aus. Karl Wedel fuhr zudem nicht planlos nach Warschau. Er fuhr nämlich zu seinem Schwager Robert Wisnowski, dessen Schwester er 1840 in Berlin geheiratet hatte. Robert Wisnowski war schon ein berühmter Warschauer Konditor und kannte den hiesigen Markt. Und er stellte keine Schokoladenprodukte her.
So begann also ein deutsch-polnisches Joint Venture mit der Produktion von guter Schokolade. Es dauerte etwas, bis aus diesem kleinen Familienbetrieb ein Schokoladenimperium wurde. Aber es ist gekennzeichnet von stetigem Wachstum und einer gesunden unternehmerischen Entwicklung und das trotz sich ständig veränderten Grenzen, zweier Totalitarismen und Weltkriege. Bemerkenswert ist zudem die Zusammenarbeit der Wedelgenerationen. Der Nachfolger auf dem Schokoladenthorn wurde stets zu Lebzeiten seines Vaters mit der Geschäftsführung vertraut gemacht. Neben tollen Schokoladenrezepten hatte die Familie auch ein Erfolgsrezept für das Geschäft.
Mit Liebe zu Schokolade

Die erste Konditorei befand sich in der Miodowa-Straße, unweit der Warschauer Altstadt. Im Chodkiewicz-Palast war vorne die Verkaufsstelle und im Hinterhof die Schokoladenwerkstatt. Die Wedel-Schokoladenkonditorei produzierte neben süßen Produkten auch Malzsirup gegen Husten und Erkälrung oder Karamellbonbon. Das ähnelt schon eher einer Apotheke, aber war sehr ertragreich. Was jedoch ganz besonders hervorsticht ist die „flüssige Schokolade“, eine Neuheit in Warschaus Cafés.
Das E. im heutigen Firmenlogo stammt vom Nachfolger von Karl Wedel, seinem Sohn Emil. Das Unternehmen war sein Hochzeitsgeschenk. Hier sieht man ganz gut, wie gut die Familie zusammenarbeitete. Das Logo ist übrigens eine Kopie seiner Unterschrift, womit eine sehr interessante Geschichte zusammenhängt. Schon zu Emils Zeiten war die Wedel-Schokolade so hervorragend, dass es schnell Nachahmer gab. Als Antwort ließ Emil Wedel verkünden, dass jede Tafel Schokolade von ihm unterzeichnet wird.
In den 80er Jahren verkaufte Emil Wedel das Unternehmen in der Miodowa-Straße und zog mit seiner Familie in das große Bürgerhaus in der Szpitalna-Straße, wo auch die Produktionsstätte untergebracht wurde. Dieses Haus überstand den 1. und 2. Weltkrieg, den Warschauer Aufstand und die Kommunisten und existiert in unveränderter Form bis heute. Natürlich befindet sich dort auch ein Wedel-Schokoladenhaus. Wenn Sie also in Warschau sind, kann ich nur empfehlen dort einen Abstecher zu machen. Das Haus, sein Stil und das Interieur: eine geniale Mischung.

„ewedel“ allen zusammen

Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die Leitung des Unternehmens zum Teil in die Hände des Sohnes von Emil Wedel Jan gelegt. Jan studierte Chemie an der Universität Freiburg und brachte es zu einem Doktor. Nach einem ordentlichen Werdegang durch alle Positionen des Unternehmens entschied Emil Wedel 1912, dass sein Sohn das Unternehmen an seiner Seite leiten soll. So blieb es bis zum Tod von Emil Wedel 1919. Alle Eigentümer der Wedel-Familie hatten ein Gespür für Raum und Zeit. Sie betrieben viel Werbung, produzierten Plakate und nutzten die Medien, die damals erst seit kurzer Zeit zur Verfügung standen. So kam es, dass der König von Afghanistan, als er (das damals schon unabhängige) Polen besuchte und mit dem Zug durch das Land fuhr, an jeder Haltestelle ein Plakat mit dem Logo E.Wedel sah, und dachte, dass das ein polnisches Begrüßungswort sei. Als er in Warschau ausstieg sagte er zu allen „ewedel“. Zu Jans Zeiten wurde Wedel zum echten Schokoladenimperium. Damals ließ er in Warschau-Praga eine imposante Fabrikhalle mit einem anliegenden Wohnviertel für die Arbeiter bauen. Ihnen stand ein Theater, eine Kindertagesstätte und ein Kindergarten zur Verfügung. Sogar eine eigene Schweinefarm ließ er anbauen, um von den damals häufigen Wirtschaftskrisenn unabhängig zu sein. Gegessen wurde natürlich in der Firmeneigenen Esstafel.
Während des 2. Weltkrieges ging die Produktion weiter. Schokolade und Wodka waren für die Nazis Produkte, die erreichbar sein mussten. Die Rohstoffe hatte Jan Wedel vor 1939 in genügenden Mengen angehäuft. Er ließ sich trotz stetigen Drucks nicht in die Liste der Rei8ichsdeutschen eintragen.
1948 wurde das gesamte Unternehmen verstaatlicht. Jan erhielt zwar einen Leitungsposten, velror ihn jedoch ziemlich schnell. Eines Tages kamen zwei Herren in langen Mänteln ins Büro, ohrfeigten und beschimpften ihn. Jan Wedel verließ daraufhin das Büro betrat nie wieder die Schwelle zur „eigenen“ Fabrik. Natürlich verlor die Familie Wedel auch das Bürgerhaus in der Szpitalna-Straße und ihre Villa im Warschauer Vorort Konstancin. Ein ehemaliger Wächter nahm die Familie bei sich auf. 1960 verstarb Jan Wedel total verarmt und ohne Schokoladenfabrik.
Das Unternehmen wurde in ZPZ im. 22 Lipca d. E. Wedel umbenannt. Übersetzt heißt es: Zuckerindustriebetrieb des 22. Juli früher E.Wedel. Das klingt schlimm und sieht noch schlimmer aus. Es ist kein Wunder, dass diese Marke damals keine Karriere gemacht hat.
Vogel…milch

Das berühmteste Produkt von E.Wedel sind die berühmten Milchschaumsteine, die wir hier als Ptasie Mleczko kennen. Auf Deutsch ist es die Vogelmilch. Entstanden ist diese sündhaft süße Kost 1936 in Warschau.
In den 50ern entschied die kommunistische Regierung, dass das Rezept des Schaums an andere Schokoladenfabrikaten im Sowjetischen Imperium weitergeleitet werden, so auch an das Unternehmen Rot Front. Aber die Russen haben die Süßigkeit so gut kopiert wie sie im 17. Jahrhundert die Lanzen der polnischen Flügelhussaren kopierten. Ohne Erfolg!
Dann gibt es noch die Wedeltörtchen. Diese müsst Ihr unbedingt probieren, wenn Ihr hier seid.
Jeder will es haben
Nach 1990 ging das Unternehmen von Hand zu Hand wie eine Zigarette in einem Studentenheim. Zunächst kaufte es Pepsi Co.,die zunächst einige Gerichtsverfahren führen und viel Schadensersatz zahlen musste, um die Benutzung des wedelschen Nachnamens zu legalisieren. Pepsi hat Wedel vor allem wege der Distributionsmöglichkeiten, die Wedel in Polen hatte, gekauft. Schokolade lag nicht unbedingt in ihrem Interesse. Vielmehr wollten sie, dass die Polen die lang ersehnte Pepsi und die Chips in sich reinhauten.
Dann kamen die britische Cadbury, die US-amerikanische Kraft Foods und schließlich seit 2010 die Gruppe Lotte aus Südkorea und Japan.
Wenn Ihr also nach dieser schrecklichen Pandemie wieder in Warschau vorbeischaut, dann ist Wedel-Schokolade eine Sache, die Ihr als Souvernir nach Hause nehmen solltet. Am besten schaut Ihr dafür in der Szpitalna-Straße 8 vorbei. Vielleicht treffen wir uns da auf eine Plauderstunde.

Quellen
Kaminska, Justyna in: Kurier Warszawski, Wedel najslynniejsza fabryka czekolady, S. 18-21.
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