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Freie Königswahlen in Polen. Ein faszinierendes Schauspiel.

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Die Freie Königswahl ((poln. Wolna Elekcja)) in der Königlichen Republik Polen-Litauen (1569-1795) war ein in der europäischen Geschichte einzigartiges Ereignis und gehört in jedes Buch über die Geschichte Europas. Alle elf Wahlen fanden in Warschau statt und waren wesentlicher Bestandteil der vom polnischen Adel (szlachta) verbissen verteidigten Goldenen Freiheit. 

Zeitraum

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Die Wahl von Stanislaw August Poniatowski 1764 | Gemälde von Bernardo Belloto

Die erste freie Königswahl fand 1573 auf der östlichen Flußseite des heutigen Warschau statt. Die letzte Wahl ereignete sich 1764 und endete mit der Wahl Stanislaw August Poniatowskis zum König von Polen. Insgesamt gab es 11 Wahlen. Am 3. Mai 1791 trat die erste europäische Verfassung in Kraft, welche ebenfalls in Warschau verfasst wurde. Würde das Königreich Polen 1795 nicht untergehen, wäre demnach die polnische Monarchie nach dem Tod von Stanislaw August Poniatowski in eine Erbmonarchie umgewandelt worden. Die Thronfolge hätten dann – gemäß der Bestimmungen der Mai-Verfassung – die Wettiner aus Sachsen übernommen.

Die Anfänge

Personalunion zwischen Polen und Litauen

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Wladyslaw II. Jagiello. Der erste Jagiellone
auf dem polnischen Thron / Jan Matejko

Am 04. März 1386 wurde Wladyslaw II. Jagiello (dt. Jogaila) nach seiner Taufe und der folgenden Eheschließung mit Hedwig von Anjou (poln. Jadwiga Andegaweńska) zum König von Polen gekrönt. Es gab jedoch auch den Titel des Großfürsten von Litauen. Die Verleihung dieses Titels und auch die Beziehungen des Großfürstentum zum Königreich Polen waren anfangs nicht eindeutig und verursachten zahlreiche politische Streitigkeiten. Schließlich einigten sich die adeligen Gefolgsleute beider Reiche – also Polens und Litauens – im Jahre 1447 darauf, dass der König von Polen in Zukunft zugleich auch immer den Titel des Großfürsten von Litauen tragen wird. Die Einigung wurde mit der Königskrönung Kasimir IV. des Jagiellonen (Kazimierz IV Jagiellończyk), des Sohnes von Wladyslaw II. Jagiello, bestätigt. Es wurde somit eine Personalunion zwischen Polen und Litauebeschloßen, welche bis zum Tod von Sigismund II. August (Zygmunt II August) im Jahre 1572 bestand.

Res Publica zweier Nationen

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Polen-Litauen im Jahre 1569. Eines der mächtigsten und größten Königreiche des damaligen Europa

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Sigismund II. August – König von Polen und
Großfürst von Litauen [Public Domain]
Der letzte König Polens aus dem Hause der Jagiellonen Sigismund II. August (poln. Zygmunt II August), dessen Mutter Bona Sforza war, verstarb am 07. Juli 1572. Trotz seiner 24-jährigen Herrschaft blieb er kinderlos, womit schwer zu lösende Komplikationen politischer Natur auftauchten, sofern es um die Frage des Erhalts der Personalunion zwischen Polen und Litauen ging. Diese musste der polnische Adel (szlachta) lösen. Die politische Elite war jedoch sehr vorausschauend und bereitete sich schon vor dem Tod ihres Königs auf diese Situation vor.

Am 12. August 1569, noch zu Lebzeiten Sigismunds II. August, gingen die hohen Herren Polens und Litauens einen Schritt weiter und schufen eine Realunion, welche nach dem Ort des Beschlusses Lubliner Union genannt wird. Auf diese Weise verschmolzen das Königreich Polen, das Großfürstentum Litauen, aber auch das Königliche Preußen und das Herzogtum Livland zu einem einheitlichen Staatskörper. Auf diese Weise entstand eines der größten Länder auf dem europäischen Kontinent. Der offizielle Name des neuen Staates lautete Rzeczpospolita Korony Polskiej i Wielkiego Księstwa Litewskiego. Rzeczpospolita lässt sich ins Deutsche mit Res Publica oder eben Republik übersetzen. 

Zusätzlich wurde beschloßen, dass:

  • es eine einheitliche Gesetzgebung geben wird
  • die Amtssprachen Polnisch und Latein sind
  • es eine einheitliche Währung gibt
  • es nur ein Parlament (Sejm) gibt
  • die Wahlmonarchie eingeführt wird

Dieses staatliche Konstrukt existierte bis zur Dritten Polnischen Teilung am 24. Oktober 1795. Die Wahlmonarchie wurde mit der Verfassung vom 3. Mai 1791 in eine Erbmonarchie umgewandelt. Dazu später mehr.

Sigismund II. August war bei der Unionsschließung 49 Jahre alt. Man ging nicht mehr davon aus, dass er noch Vater werden würde. Durch diese  Realunion Polens und Litauens konnten sie beide unabhängig von der Position des Königs und auch unabhängig von der Person nebeneinander existieren.

Ablauf

[su_box title=“1. Interregnum“ style=“soft“ box_color=“#c0d1e8″ title_color=“#000000″ radius=“0″]Nachdem der König verstorben ist oder abgedankt hat, folgte das sogenannte Interregnum. Die Staatsmacht übernahm der Erste Senator, welcher immer der Primas von Polen und Litauen war. Er war in dieser Zeit der Interrex. [/su_box]

[su_box title=“2. Konvokationssejm (sejm konwokacyjny)“ style=“soft“ box_color=“#c0d1e8″ title_color=“#000000″ radius=“0″]Der Interrex (Primas von Polen und Litauen) hatte unverzüglich den Konvokationssejm einzuberufen. Der Name dieses Sejm rührt daher, dass auf dieser Versammlung die pacta conventa beschlossen wurden, welche der zukünftige König würde erfüllen müssen. Außerdem wurde beschlossen, wann und wo genau die Wahl abgehalten werden würde. Ein solches Reichtstag dauerte in der Regel 2 Wochen. [/su_box]

[su_box title=“3. Wahlsejm (sejm elekcyjny)“ style=“soft“ box_color=“#c0d1e8″ title_color=“#000000″ radius=“0″]Während des Wahlsejms wurde nun der König von Polen und Großfürst von Litauen gewählt. Jeder, der zur Szlachta-Familie gehört, hatte das Recht eine Stimme abzugeben. [/su_box]

[su_box title=“4. Krönungssejm (sejm koronacyjny)“ style=“soft“ box_color=“#c0d1e8″ title_color=“#000000″ radius=“0″]Der letzte Akt der freien Wahlen im polnischen Königreich fand in Krakau statt. Die Krönung vollzog in aller Regel der Primas, der auch hiermit nicht mehr Interrex war. [/su_box]

Die Wahlen

Während des 1. Konvokationssejms, welches am 6. Januar 1573 begann, wurde beschloßen, dass alle Mitglieder des polnischen Adels (szlachta) sowohl das aktive, wie auch das passive Wahlrecht hatte. Jeder Adelige hatte eine Stimme hatte, unabhängig davon, wie reich er war und ob er überhaupt Land besaß. Die polnische szlachta war juristisch gleichgestellt, was die Über- und Unterordnung im Alltagsleben nicht verhinderte, aber in der Ausübung der Freiheiten streng befolgt wurde. Der Hohe Adel war daher dem Niedrigen Adel stets unterlegen. Es war also entscheidend die Gunst der Allgemeinheit zu gewinnen.

Teilnehmerzahl

Es gab noch eine weitere Besonderheit. Der polnische Adel machte zwischen 8 und 10 % der Gesamtbevölkerung aus. Natürlich fanden sich nicht alle auf dem Wahlfeld ein. In Wahlkreisen wurden die Abgeordneten bestimmt und zur Wahl geschickt. Der Abgeordnete (man könnte ihn als Wahlmann bezeichnen) war nicht notwendigerweise an die Anweisungen gebunden, es passierte jedoch selten, dass er von ihnen abwich. Dennoch waren die Teilnehmerzahlen bei manchen Wahlen für damalige europäische Verhältnisse immens. Zum ersten Wahlsejm im April 1573 fuhren ca. 50 000 Abgeordnete des polnischen Adels. Das Wahlfeld befand sich im heutigen Stadtviertel Praga Poludnie. Das war die einzige Wahl auf der rechten Flußseite (formell gehörten jene Gebiete damals nicht zu Warschau). Alle folgenden Wahlen fanden auf der linken Weichselseite im heutigen Stadtteil Wola statt. Keine andere Wahl versammelte einen so hohen prozentualen Anteil der szlachta, also mehr als 10 Prozent.

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Henri de Valois – der erste Wahlkönig der 1. Rzeczpospolita

Gewählt wurde 1573 Henri de Valois, der Bruder von Karl IX. von Frankreich und späterer König von Frankreich.

Die vollständige Liste der gewählten polnischen Könige (in Klammern das Herkunftsland)

  • Henri de Valois (Frankreich)
  • Stefan Batory (Siebenbürgen/Ungarn)
  • Sigismund III. Wasa (Schweden)
  • Wladyslaw IV. Wasa (Polen)
  • Jan Kazimierz Wasa (Polen)
  • Michał Korybut Wiśniowiecki (Polen)
  • Jan III. Sobieski (Polen)
  • August II. (Sachsen)
  • Stanisław Leszczynski (Polen)
  • August III. (Sachsen)
  • Stanisław August Poniatowski (Polen)

Warum Warschau?

Alle Wahlen fanden in Warschau statt. So sahen es die Bestimmungen der Lubliner Union vor. Die Stadt war im Jahre 1573 nicht die mächtigste Stadt der polnisch-litauischen Union. Man könnte also meinen, dass man die Wahlen in Städten wie Krakau, Danzig oder Vilnius abhalten würde. Allerdings mussten alle zufriedengestellt werden, es musste also ein Wahlort gefunden werden, der die Wahl nicht durch seine Machtstellung zu sehr beeinflußen würde. Zudem hatte der Klerus Sorge darum, dass die Protestanten zu viel Einfluß auf die Wahlergebnisse haben würden. Der Adel in Masowien war sehr zahlreich und vor allem katholisch. Diejenigen nämlich, die an der Wahl nicht teilnahmen, wurden nicht gezählt. Es gab auch keine Quorumsregelungen.

Außerdem lag Warschau so ziemlich in der Mitte zwischen dem Großfürstentum Litauen und dem Kernland des Polnischen Königreiches.

So konnte man die zahlreichen Interessen zusammenbringen und in Warschau immer wieder ein atemberaubendes Ereignis bewundern.

Die Geschichte Polens – für viele unentdecktes Neuland

Es stimmt – Polen hat eine Geschichte und diese beginnt nicht 1989.  Im Jahre 1966 feierten wir nämlich 1000-Jahre polnischer Geschichte – zu Schade, dass wir damals nicht frei waren.

Diese kleine Information ist wichtig, um nicht voreilige Schlüße über die Polen und ihren Charakter zu ziehen. Dieses relativ kleine Land hat einen großen Beitrag geleistet, sofern es darum geht, wie sich Europa heute definiert. Einen schlechten Lauf gibt es immer wieder mal. Frankreich, Deutschland oder Großbritannien können sicherlich nicht von sich behaupten bisher alles richtig gemacht zu haben. Doch bevor man aus Fehlern lernen kann, muss man sie zunächst begehen.

Ich kann also jedem nur empfehlen seinen Blick etwas weiter in Richtung zu Osten zu richten. Dort ist nämlich auch Europa.

Literaturquellen

  • Dziegelewski, Jan: Instytucje ustrojowe Rzeczypospolitej Obojga Narodow a rozwoj Woli in: Historia Woli, S. 37-67, Warschau 2000.

Antoni Administrator
Europäer mit polnischem Herz und deutschem Hirn! Eigentümer des Touristikunternehmens Walking Poland Group, lizenzierter Stadtführer in Warschau, Fotograf, Jurist (1. Staatsexamen), Redakteur
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Antoni Administrator
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