Während der letzten Touristensaison wurde ich etliche Male nach dem Berühmten Café Blikle auf dem Königsweg in Warschau gefragt. Ihre Berühmtheit erlangte die Cafetería Dank der über hundertjährigen Existenz (was in Warschau äußerst selten ist) und interessanten Geschichte. Leider ist das Café Geschichte!

Erfolgreich und widerstandsfähig
Gegründet wurde das Unternehmen am 11. September 1869 von Antoni Kazimierz Blikle, dessen Eltern aus dem Kanton Graubünden nach Kongresspolen gezogen sind. Antoni Kazimierz erlernte den Beruf des Konditors in einer der zahlreichen Semadeni-Konditoreien. Die Semadenis kamen ebenfalls aus dem Kanton Graubünden und schufen in Städten wie Lublin, Kiew und Warschau ein Chocolaterie-Imperium. Die Konditorei in der Nowy-Swiat-Straße 35 prosperierte. Die Nachfolger Antoni Wieslaw (1873-1934) und Jerzy Czeslaw (1906-1981) leiteten das Geschäft weiter, vorbei an zwei Weltkriegen, Bürgerkrieg, Zerstörung, Kommunismus und einer ungewißen Zukunft. Doch stets verrichteten sie hervorragende Arbeit und erfreuten die Warschauer und Gäste aus der ganzen Welt mit ihren berühmten Paczki (Berliner) in einem Lokal, welches auch in Paris hätte sein können. Die sozrealistische Zeit war jedoch zu lang und brachte die Firma um ihre Errungenschaften. Warschau war völlig zerstört, die Ingerenz des Staates zu stark und was fehlte, war ein kauffreudige Gesellschaft. Dennoch hat die Familie es bis in die 90er Jahre geschafft. Gegenwärtig hat Blikle ein festes Standbein auf dem polnischen Markt, nicht jedoch die starke Marktposition wie früher. Alleine in Warschau werden in 17 Konditoreien Schokoladenkunstwerke hergestellt. Weitere existieren in Posen (2), Tschenschtochau (1), Gdingen (3), Danzig (1) und Breslau (2). Die Konditorei in der Nowy-Swiat-Straße befindet sich unter der Nummer 33. Und was ist unter der Nummer 35?
Alles hat ein Ende!
Hier habe ich schlechte Nachrichten. Unter der Nummer befand sich nämlich das Café mit seiner reichen Geschichte. Große Persönlichkeiten wie Jozef Pilsudski, der Gründungsvater der 2. Republik Polen, die 1918 ausgerufen wurde, aber auch berühmte Personen aus Film, Radio und der großen Welt der Industrie saßen hier Rücken an Rücken und genossen ihren Kaffe und etwas kleines Süßes. Das Café Blikle war so bekannt, dass einige es sogar in die Liste der bekanntesten Sehenswürdigkeiten in Warschau eintrugen. Es ist gerechtfertigt sich dabei die Frage zu stellen, ob das Café wirklich so gut war oder aber der Tourismus in Warschau sich auf einem so niedrigen Niveau befand, dass man irgendwie die Lücken füllen musste? In den 50er Jahren war sogar die längste Rolltreppe auf dem Schlossplatz „sehenswürdig“. Ich denke jedoch, dass es vor allem die Historie war, die die Menschen aus ganz Polen magisch anzog. Jeder, der nach Warschau kam, wollte unbedingt zu Blikle. Gäste aus der Provinz konnten vor allem hier etwas Großstadtluft schnuppern und die Großstadtelite bei ihren Gesprächen über Politik, Kultur und Gesellschaft belauschen.
Damit ist seit längerem Schluss! Das Café unter der Nummer 35 wurde geschlossen. In der Konditorei kann man zwar auch Kaffee bestellen, aber die Atmosphäre ist alles andere als großstädtisch und elegant. Es ist nur noch ein schlichter und einfacher Laden, wie er überall auf der Welt anzutreffen ist.
Nowy Swiat: das längste Restaurant Warschaus
Und wer ist Schuld an dieser Misere? Natürlich alle, bloß nicht der Eigentümer selbst. Dieser behauptet, dass die Schuldigen in der Stadtverwaltung und im kapitalistischen System zu suchen sind. Die überhöhten Mietpreise und die fehlende Unterstützung seitens der Stadt (!). Die Familie Blikle hat seit 2010 faktisch keinen Einfluss mehr auf das Geschehen. Es ist seit vielen Jahren eine GmbH. Die Unternehmensleitung war unfähig tolles Café in dieser tollen Lage zu schaffen. Sie war jedoch außerordentlich erfolgreich etwas so vielversprechendes zu zerstören. Ich war im Café, bevor es geschlossen wurde. Die Lederbezüge waren zerkratzt, der Kellner sprach kein Englisch, die Toilettentür war ständig geöffnet und das Besteck schien noch aus der Zeit des ersten Blikle zu stammen. Zwar elegant und edel, aber matt wie ein im Winter angehauchtes Fenster. In der gleichen Zeit entstanden in der Nachbarschaft entlang der ganzen Nowy-Swiat-Straße zig Cafés, Bars, Restaurants und Bistrós. Heute wird die Straße als das längste Restaurant Warschau bezeichnet. Wie es scheint, wussten die anderen etwas, was die Blikle-Führung nicht willens war zu verstehen.
Beitragsbild: Piotrus via wikimedia
Hallo Antoni,
in Ihren deutschsprachigen Texten verwenden Sie manchmal bei Namen und Ortsangaben die polnischen Sonderzeichen, manchmal (öfter) nicht.
Selbst bei Ihrem eigenen Namen fehlen sie.
Gibt es dafür einen besonderen Grund?
Andererseits schreiben Sie auf französisch wie selbstverständlich Café.
Beste nach Warschau —
Werner Rauch
Hallo Werner,
als ich 2016 begann diesen Blog zu schreiben, verwendete ich die polnischen Sonderzeichen. Später wurde mir gerieten diese Sonderzeichen nicht zu benutzen, weil die Suchmaschinen sie nicht erkennen. Bei der Suche würden meine Texte dahingehend benachteiligt werden. Deshalb habe ich aufgehört die polnischen Spezialbuchstaben zu nutzen. In einigen älteren Texten habe ich das erst später korrigiert, in anderen Fällen tauchen sie immer noch auf. Aktuell nutze ich sie nicht mehr. Auch nicht in meinem Namen.
Sofern es um das Wort Café geht, so ist es (laut Duden) ein deutsches Wort, was man daran erkennt, dass es großgeschrieben wird. Im Französischen schreibt man es klein.
Ich hoffe, dass meine Erklärung stimmig klingt.