Nicht alles in Warschau ist perfekt und das ist auch gut so. Es gibt noch viel zu tun, was ein Grund ist, warum ich so gerne hier lebe. Doch bevor man sich an die Arbeit machen kann, muss zunächst das Problem erkannt werden. Smog ist eines dieser Probleme, mit welchem wir Warschauer (von Zeit zu Zeit) zu kämpfen haben.
Mit niedrigen Temperaturen fängt es an

Seit Donnerstag 05. Januar 2017 wehte sehr kalte Luft vom Norden Richtung Polen und ließ die Thermometer in der Nacht von Samstag auf Sonntag (07. Januar 2017) sogar auf Minus 29 Grad sinken. Dieser Rekord wurde ungewöhnlicherweise in Katowice (Kattowitz) registriert. Die Masuren und das Tatragebirge kamen erst auf die Plätze 2 und 3. (Quelle: fakt24.pl / polnisch).
In Moskau verabredet man sich bei solchen Temperaturen zu einer Massen-Fahrradtour und in Sibirien verkünden die Blumen das Herannahen des Frühlings. In Italien hingegen wird bei Minus 10 Grad der Notstand ausgerufen. Die Briten hingegen vermuten, dass ihr Land seit dem Brexit klimatechnisch ebenfalls nichts mehr mit Europa zu tun hat.
Die niedrigen Temperaturen führen dazu, dass die Polen ihre Brennöfen anschmeißen und mit Material beheizen, für welche man in Deutschland gesonderte Mülltonen kauft. Obwohl in Warschau selbst kaum veraltete Heizsysteme vorhanden sind, verursachen die Einwohner der umliegenden Dörfer einen Staubwolken-Ring um Warschau herum. Die Menschen scheinen nicht zu wissen, dass sie sich auf diesem Wege einen großen Schaden anrichten.
Alles fängt an, wenn es anfängt frostig zu werden.
Wie wird schlechte Luft gemessen
Um die Qualität der eingeatmeten Luft messen zu können, bedient man sich bestimmter Werte. Relevant ist dahingehend der Anteil des Feinstaubes in der Luft. Er besteht aus einem komplexen Gemisch fester und flüssiger Partikel und wird abhängig von deren Größe in unterschiedliche Fraktionen eingeteilt. Unterschieden werden PM10 (PM = particulate matter) mit einem maximalen Durchmesser von 10 Mikrometern, PM2,5 sowie ultrafeine Partikel mit einem Durchmesser von weniger als 0,1 Mikormetern (Quelle: www.umweltbundesamt.de).
Hochdruckgebiete drücken alles nach unten
Die Werte werden von vielen Faktoren stark beeinflußt. Windstille, sehr trockene Luft und die eben genannten niedrigen Temperaturen lassen die Werte erschreckend schlecht ausfallen. Bei einem Hochdruckgebiet, welches momentan über ganz Polen herrscht, kann der Feinstaub nicht nach oben ausweichen und geht in die Breite oder fällt nach unten, sodass er auf dem Grund liegen bleibt. Über dem Smog befindet sich eine sogenannte Inversionsschicht, welche für den Feinstaub eine undurchdringbare Barriere darstellt. Bei Windstille hängt der Smog also quasi in der Luft und bewegt sich nicht.

Der Wert für PM10 lag am 08.01. um 4 Uhr bei 229,4 Mikrogramm pro Qubikmeter (µg/m³) und zwei Stunden später sogar bei 245,9 µg/m³. Der Höchswert wurde um 9 Uhr gemessen und betrug 262,9 µg/m³. Die Messstation befindet sich in der Innenstadt an der Marszałkowska-Straße. Mancherorts kann man das Brennmaterial förmlich riechen. Die Bevölkerung spricht momentan über nichts anderes.
Die Obergrenze pro Stunde liegt bei 50µg/m³.
Über die PM2,5 Werte wurde nur bekannt gegeben, dass sie wesentlich überschritten waren. Genauere Angaben liegen nicht vor.
Bei so hohen Werten wird geraten zu Hause zu bleiben. Allerdings wird kritisiert, dass diese Informationen von der Stadt so oder zu spät verkündet wurden.
Grenzwerte in Warschau und anderen europäischen Städten
In Warschau herrscht Smogalarm, was man sehen und riechen kann. Doch was heisst das im Konkreten? Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gibt an, dass der PM2,5-Wert unter 25µg/m³ und der PM10-Wert unter 50µg/m³ liegen sollte. Da die Europäische Union selbst keine Grenzwertbestimmungen erlassen hat, kann auch nicht von einer Überschreitung europäischer Normen gesprochen werden. Vielmehr entscheiden europäische Städte selbst, wann die Bevölkerung nur informiert werden muss (Informationsstufe) und ab wann zusätzlich Vorkehrungen vorgenommen werden müssen (Alarmstufe).
Auf der Seite www.airly.eu (polnisch + englisch) gibt es eine Landkarte Polens mit den aktuellen Luftwerten. Man kann dort auch eine App runterladen.
In Polen hat das Gesundheitsministerium die Informationsstufe bei 200 µg/m³ und die Alarmstufe bei 300 µg/m³ der PM10-Partikel angesetzt. In Großbritannein gibt es hingegen nur eine Informationsstufe ab 101 µg/m³, in Frankreich wird ab 80 µg/m³ sofort Alarm geschlagen und in der Schweiz liegt die Informationsstufe bei 75µg/m³ und die Alarmstufe bei 100 µg/m³ an zwei aufeinanderfolgenden Tagen. Die Stadt Warschau überprüft bei Erreichung von 100 µg/m³, ob am nächsten Tag ebenfalls solche oder höhere Werte vorliegen werden. Sollte das bestätigt werden, dürfen die Bewohner den ÖPNV kostenlos nutzen. In Krakau muss an 3 Stationen ein Wert vo 150 µg/m³ oder an einer Station ein Wert von 300 µg/m³ gemessen werden.
In Warschau war in letzter Zeit der Grenzwert von 100 µg/m³ 2 Mal überschritten worden. Das letzte Mal Anfang Dezember 2016.
Auf der offiziellen Internetseite der Stadt Warschau wird seit neuestem angegeben, wie hoch die Werte PM,2,5 und PM10 sind. Quelle dieser Werte ist das Umweltschutzamt für ganz Polen.
Kampf mit dem Smog – öffentliche Verkehrsmittel kostenlos

Jedes Mal, wenn die Werte gefährliche Ausmaße erreichen, werden die öffentlichen Verkehrsmittel kostenlos zur Verfügung gestellt. So geschehen auch am 09.01.2017. Schon am Sonntag waren die Werte alles andere als gut.
In letzter Zeit ist es schon die zweite Aktion dieser Art. Am 15. Dezember waren die Feinstaubwerte ebenfalls der Auslöser für kostenlosen öffentlichen Nahverkehr.
Noch ist unklar, ob die Warschauer auch am Dienstag kostenlos fahren können. Man werde es frühzeitig bekannt geben – so sagt man zumindest.
Warschau ist zwar nicht der Spitzenreiter in Polen…
Warschau ist in Polen nicht der bekannteste Smog-Produzent. Es haben oder hatten auch andere Städte Probleme mit dem Smog. Davor platzieren sich vor allem Krakau und Kielce. In der kleineren Ortschaft Skała, welches 20 Kilometer nördlich von Krakau entfernt liegt, wurden im Dezember sogar 980 µg/m³ gemessen. Das fehlen einem die Worte.
Doch auch anderswo in Europa war nicht immer alles so sauber. Der Great Smog von London kostete fast 12.000 Menschen das Leben (Quelle: www.spiegel.de). Soweit will es doch niemand kommen lassen, oder?
…Polen hingegen ist der Spitzenreiter in Europa

Die Financial Times hat eine Untersuchung veröffentlicht, wonach die Smogwerte in Polen zu den höchsten in Europa gehören. Von den 50 am meisten verschmutzten Städten Europas liegen 33 (!) in Polen (Quelle: tvn24bis.pl / polnisch). An den Folgen sollen sogar bis zu 45 Tausend Menschen sterben (Quelle: www.tvnwarszawa.tvn24.pl) Das überzeugt jedoch nicht alle. Der Gesundheitsminister Konstanty Radziwiłł betonte, dass das Smog-Problem nur theoretischer Natur sei und man solle keine künstliche Panik erzeugen. Angeblich sei unser aller Lebensstil gefährlicher als die Gefahr, die vom Smog ausgeht. Na dann alles Gute im Neuen Jahr – und vor allem – viel Gesundheit, Herr Minister.
Während Krakau in einem Tal liegt, hat Warschau den Vorteil, dass sich die Innenstadt und die Altstadt auf einer Anhöhe 75 Meter über dem Weichselbecken befinden. Zusätzlich existiert im Westen der Stadt ein Nationalpark, von welchem aus alle 2 bis 4 Tage frische Waldluft weht. Diese gute Lage muss die Stadt nur noch zu nutzen wissen anstatt zu hoffen, dass es schon irgendwie besser wird. Übrigens: auf der Welt gibt es nur zwei Hauptstädte, die an einen Nationalpark grenzen – Nairobi und Warschau.
Das Problem erkennen und darüber sprechen
Natürlich tut es mir im Herzen weh, wenn ich solch schlechte Nachrichten über Warschau in die deutschsprachige Medienwelt setze, doch was gesagt werden muss, muss gesagt werden. Den Polen gefällt nicht, was sie in ihren Städten erleben und vor allem was sie hier einatmen müssen. Wenn die Politiker das Smog-Problem mit einer Theorie gleichsetzen und das Problem als solches ignorieren, dann sprechen sie nicht für alle. Ich schreibe insofern im Namen aller Warschauer, ob sie nun Deutsch verstehen oder nicht, denn ich habe hier noch niemanden getroffen, dem das alles egal ist.
Das Problem ist nun erkannt – bekannt war es schon immer. Jetzt gilt es, das Problem zu lösen. Hier sind jedoch wir Polen selbst für den Smog verantwortlich und somit sind auch wir Polen die einzigen, die das Smog-Problem lösen müssen.
Die Zeiten, in denen wir unsere Probleme auf andere schieben konnten, sind vorbei.
Beitragsbild: White-Collar der Zukunft? Smogalarm in Warschau | RockshowPics Music Photography [CC BY-NC 2.0]
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