Am 16. Dezember 2016 fand eine Art Revolte vor dem polnischen Parlament in Warschau statt. Auf MeinWarschau wurde darüber berichtet.
Seitdem hat sich einiges getan. Heute möchte ich die Ereignisse seit diesen tumultartigen Ereignissen vom 16. Dezember 2016 aktualisieren und die nächste Runde einläuten.
Der besetzte Sitzungssaal

Einen Tag nach dem Chaos im Sejm hielten die Abgeordneten der Opposition den Plenarsaal immer noch besetzt, sodass dort keine weiteren Sitzungen abgehalten werden konnten. Am 16. Dezember sollte jedoch die letzte Sitzung 2016 stattfinden. Die nächsten Debatten sollen gemäß des Terminkalenders auf der Internetseite des Sejm am 11.01., 12.01. und 13.01. erfolgen. Deshalb wurde sofort bekannt gegeben, dass der Protest bis zu diesem Tag andauern und sogar während der Weihnachtstage anhalten wird.
Die vereinte Opposition

Michal Szczerba, welcher vom Sejmvorsitzenden von weiteren Sitzungen ausgeschloßen wurde (siehe Abschnitt „Alles fing sehr harmlos an“ in „Revolte in Warschau – was wirklich geschah“), betonte in den Medien, dass es in Polen seit dem 16. Dezember 2016 eine vereinte Opposition gebe und dass die ganze polnische Gesellschaft (sic!) bereit sei die Demokratie und das freie Abgeordnetenmandat zu schützen. Für den 20. Dezember wurde eine gemeinsame Sitzung der drei Oppositionsparteien Nowoczesna., PO und PSL einberufen, um das weitere Vorgehen zu besprechen und eine legale Parlamentssitzung einzuberufen (was so nicht geklappt hat). Nur zur Erinnerung: Der Ausschluss von Michał Szczerba von den Sejmsitzungen am Abend des 16. Dezember war der Auslöser für das Chaos, welches sich sowohl im als auch außerhalb des Sejmgebäudes abspielte und in gewißer Weise noch abspielt.
War die Demonstration vor dem Sejm am 16. Dezember eine geplante Aktion?

Es folgte ein Wortgefecht auf sehr niedrigem Niveau. Die Beschuldigungen schoßen wie Maschinengewehre durch die Medienwelt. Jeder versuchte dem anderen Lager die Schuld für das Chaos in die Schuhe zu schieben. Viele Mitglieder der Partei Recht und Gerechtigkeit warfen der Opposition und dem Komitee zur Verteidigung der Demokratie (im folgenden KOD) vor, dass die ganze Aktion geplant gewesen sein. In weniger als einer Stunde stand vor der Sejmeinfahrt eine rollende Bühne mit Mikrofonen und Lautsrprechern. Rechte Medienvertreter ergänzten, dass die Oppositionsmitglieder vorab 1000 belegte Brötchen bestellt hatten und zudem die Demonstration vorher angemeldet hatten. Die Vorwürfe wurden entschieden zurückgewiesen. Die Zeitung gazeta.pl klärte auf. Eine Demonstration wurde tatsächlich registriert, jedoch nicht vor dem Sejm, sondern vor der Kanzlei der Premierministerin, welche sich einige hundert Meter weiter an der Aleje Ujazdowskie befindet. Damit im Zusammenhang steht das Demonstranten-Dorf, welches dort schon vor über 250 Tagen aufgestellt wurde und vom KOD organisiert wird.Grund für jene dauerhafte Demonstration sind die nicht-veröffentlichten Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofes. Nun zur Brötchen-Frage: die 1000 Brötchen wurden nicht von der Opposition bestellt, sondern von der Sejmverwaltung. Damit eine solche Bestellung durchgeht, benötigt sie das Einverständnis der Sejmvorsitzenden Marek Kuchciński (Sie erinnern sich? Er hat Michał Szczerba ausgeschlossen) oder der Vize-Vorsitzenden Ryszard Terlecki oder Joachim Brudziński. Alle sind Mitglieder der PiS-Partei.
Haushaltsbeschluss wurde nicht beschlossen
Im Beitrag vom 17. Dezember habe ich schon erwähnt, dass die Opposition den Haushaltsbeschluss im neuen Abstimmungssaal nicht anerkennen will, weil er formell unrechtmäßig zustande gekommen ist. Unter anderem wurden nach Aussagen einiger Oppositionsmitglieder die Abgeordneten daran gehindert in den neuen Saal einzutreten und zum anderen war die Mindestanzahl der Abgeordneten nicht gegeben, sodass keine Abstimmung stattfinden durfte. Es sei noch nicht mal klar, wer genau an der Abstimmung teilnahm. Die privaten veröffentlichten Videos sind schlechter Qualität und umfassen nicht den ganzen Raum. Die ganze Sitzung kann man auf folgendem You-Tube-Video anschauen.
https://youtu.be/0TAmNdX_LYw
Ein weiterer Kritikpunkt war die Unterschriftenliste derjenigen Abgeordneten, die an der Abstimmung teilgenommen haben. Der Justizminister Zbigniew Ziobro wurde dabei gefilmt, wie er erst nach der Abstimmung die Liste unterschrieben hatte. Gemäß den Regelungen muss das vorher passieren. Die Kamera aus dem Saal hat leider keine Ton-Funktion. Andere Videoaufnahmen gibt es nicht, da die Reporter nicht reingelassen wurden.
https://youtu.be/l3Ih1GX0kF8
Nach Aussagen der PiS-Abgeordneten wäre das eine normale Prozedur, die auch Oppositionsmitglieder so ausführen würden.
Gedränge vor und im Sejmgebäude
Über das Gedränge auf dem Sejmgelände hatte ich schon im vorherigen Beitrag berichtet. Jedoch gab es auch im Sejmgebäude allerlei Schupsereien. Hier flogen die ersten Beschuldigungen durch die Luft. Die Anzahl der gegenseitigen verbalen Angriffe ist jedoch so hoch, dass ich das hier nicht weiterführen möchte. Ich glaube auch nicht, dass das zu etwas führen würde.
Ein Demonstrant tut so als wäre er „tot“
– no comment –
Jaroslaw Kaczynski sprach von einem Putsch-Versuch
Nach den Weihnachtsfeiertagen meldete sich Jarosław Kaczyński zu Wort. Er bezeichnete die Ereignisse vom 16. Dezember als Putschversuch der Opposition, die, so Herr Kaczyński, das Rednerpult des Sejm gezielt besetzt hatte, damit es nicht zur Abstimmung über den Haushalt komme. Auch hier erwähnte er die bestellten 1000 Brötchen. Damals wusste er wohl noch nicht, dass diese von seiner eigenen Partei bestellt worden waren. Das Ziel der Blockade sei eine Destabilisierung des Staates zum Ziel. Sollte nämlich der Haushalt nicht beschloßen werden, so muss der Präsident das Parlament auflösen und es müssten Neuwahlen durchgeführt werden. Dazu würde es jedoch nicht kommen, denn der Präsident stammt ja aus den eigenen Reihen. Zu guter letzt hat J. Kaczyński die Handlungen der Opposition mit dem Majdan in der Ukraine verglichen. Obwohl viele Politiker und auch die Medien diese Aussagen mit einem Lächeln kommentierten, schien es der Vorsitzende der PiS-Partei sehr ernst zu meinen. Es wurde sogar angeordnet zu prüfen, ob die „Putschisten“ nicht etwa den Fernsehempfang stören würden – natürlich den des staatlichen Fernsehens.
Die Lage hat sich etwas beruhigt
Was folgte, was zum Teil schon nicht mehr sehenswert. Der Streit hörte nicht auf. Als der Kardinal in den Sejm eintraf, um mit den Politikern Oblaten zu teilen und Weihnachtswünsche auszusprechen, war nur ein Politiker der Opposition anwesend. Im Fernsehen wimmelte es nur so von Informationen über den Abend des 16. Dezember, dass es schwierig und fast unmöglich scheint der ganzen Sache folgen zu können. In der Nacht vom 19. auf den 20. Dezember wurde um das Sejmgelände herum ein Zaun aufgestellt und am 21. wieder demontiert. Er sollte das Sejmgebäude von den Demonstranten abgrenzen. Man merkte, dass alle damit im Zusammenhang stehenden Handlungen sehr unsicher und unprofessionell durchgeführt wurden.
Doch es folgte kein Ausarten der Lage. Auch in Fernsehdebatten haben sich die Politiker im Zaun gehalten. Ich denke, dass die Polen in dieser Hinsicht genügend politisches Know-how mitbringen, um es schlußendlich nur bei einem politischen Tauziehen zu belassen.
Aktiv sind die Politiker allemal und es gibt mittlerweile auch eine Wikipedia-Seite mit der Überschrift „Sejm-Krise“. Leider noch nicht auf Deutsch.
Was kommt nun?
Genau das ist die Frage aller Fragen. Was wird am 11. Januar passieren? Die Opposition hält den Sejmsaal immer noch besetzt, die Einschränkungen der Medien wurden zurückgezogen und nur leicht angepasst, der Verfassungsgerichtshof hat einen neuen PiS-treuen Vorsitzenden und der Haushaltsbeschluß hängt schwebend in der Luft. Es erwartet uns alle hier ein spannendes Jahr. Ich freue mich schon drauf.
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