Liebt euch, Mama und Papa!
Jeden Morgen gehe ich während der Spaziergänge mit meinem Hund an einem Werkstatthangar aus kommunistischer Zeit vorbei. Seit Wochen wird die gesamte Fassade des Hangars von einem riesengroßen Banner verdeckt. In Polen nicht unüblich: ich würde glatt behaupten, dass wir Weltmeister in Gebäude-Hinter-Werbung-Verstecken sind. Man gewöhnt sich also dran. Die Aufschrift auf diesem Banner lautet: „Liebt Euch, Papa und Mama (Kochajcie sie, tato i mamo)“. Erst habe ich gedacht, es hängt irgendwie mit dem Valentinstag zusammen und so ging ich zufrieden weiter, weil ich den Liebestag dieses Jahr nicht vergessen habe. Aber das Ding hängt immer noch da, was mich nicht nur stutzig gemacht hatte, sondern vor allem neugierig, was sich denn nun dahinter verbirgt. Und so habe ich die Hintergründe erfahren, was mich weder glücklicher noch schlauer gemacht hat. Meine Hoffnung liegt jetzt darin, dass ich Euch hier darüber berichte und so dieses Dilemma wieder vergesse. Eine Art Therapie-Beitrag.
Auch außerhalb der valentinischen Perspektive hat die Geschichte mit Liebe zu tun, allerdings im umgekehrten Sinne. Das Banner wurde von konservativen Gruppierungen mit dem Ziel aufgehängt, die Mütter und Väter dazu zu bringen, sich nicht scheiden zu lassen. Der Schriftzug ist daher auch in einer Art Kinderschrift gezeichnet worden. Das Banner spricht die Angst des Kindes aus. Die Eltern sollen also vor allem an das Wohl des Kindes denken. Indirekt wollen die Verantwortlichen auch unterstreichen, dass nur ein Mann und eine Frau Eltern sein können.
Der Auslöser ist die stets wachsende Scheidungsrate auf der einen und der stets sinkende Anteil an kirchlichen Trauungen auf der anderen Seite. Und wenn man die Geschichte so stehen lassen könnte, würde ich weiterhin an diesem Kommunismusprachtbau vorbeigehen und nicht mehr weiter daran denken. Schließlich herrscht hier in Polen die Devise: Jedem das Seine!

Liebt mich, Mama und Papa!
Nun entflammte aus diesem Banner ein lauter Streit, der auf den Medienportalen ausgefochten wurde. Je mehr ich darüber nachforschte, desto sichtbarer wurde die Aggressivität, mit welcher die Aktionen durchgeführt wurden. Die LGBT-Gruppierungen oder Aktivisten haben mit diesem Banner ein großes Problem. Sie sehn darin das falsche Problem oder vielmehr, ein kleines Problem im Vergleich zu der Homophobie in der polnischen Gesellschaft. Deswegen haben sie ein gemeinsmes Projekt gestartet und ein ähnliches Banner geschaffen, auf welchem in ähnlicher Schriftform der Ausspruch erscheint „Liebt mich, Papa und Mama“. Für diese Aktion wurden 600 Tasuend PLN gesammelt, also umgerechnet knapp 150 Tausend Euro. Das gesammelte Geld stammt von freiwilligen Spendensammlungen im Internet.

Um wen geht es wirklich?
Irgendwie habe ich das Gefühl, dass die Streitigkeiten zwischen den links-liberalen und rechts-konsverativen Gruppierungen aus dem Ruder geraten sind. Ich finde es schön, dass wir uns organisieren können, um gegen Homophobie zu kämpfen und natürlich wünchte ich mir, dass die Ehen nicht in so großer Anzahl geschieden werden würden (hier ist Polen in Europa nicht Spitzenreiter; der Anteil liegt bei ca. 35 Prozent). Aber all diese Banner und Werbeplakate sind nur nutzlose Investitionen, mit denen man lediglich die Druckindustrie unterstützt, damit sie vor lauter Coronaepidemie nicht vom Markt verschwinden. Vergleichen kann ich diese Aktionen mit den 2017 eingeführten Kindergeldzahlungen der Regierung iHv. 500 PLN pro Kind (daher auch der Name der Leistungen „500+“). Man mag zwar mit solchen Sozialleistungen die Symptome bekämpfen, aber es ist keine systematische Hilfe. Die Kinder bleiben weiterhin Teil armer Familien und werden weiterhin schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, mit oder ohne 500+. Bei dem Bannerstreit verhält es sich ähnlich! Ich sehe keine Institutionen, die eröffnet werden und an die man sich beratend wenden kann, weder für die Eltern noch für die Kinder, die nicht wissen, wie sie mit ihrer Homosexualität umgehen sollen oder was sie tun sollen, wenn die Eltern sie deswegen aus dem Haus schmeißen.
Vielleicht wollen alle auf diese Weise ihr Gewissen beruhigen? Schöner wäre es, wenn der kommunistische Hangar abgerissen werden würde und an seiner Stelle eine Beratungsstelle für die Eltern und für die Kinder, gegen Scheidungen und gegen Homophobie errichtet werden würde.
Hallo Antoni,
was hat das Kindergeld 500+ mit „armen Familien und schlechteren Chancen auf dem Arbeitsmarkt“ zu tun?
Zwischen den Zeilen lese ich hier bei dir gewisse Kritik an diesem Programm heraus.
Leider kommt auch von sehr vielen besonders kinderlosen Menschen in Polen massive Kritik, weil sie der Meinung sind, Familien mit Kindern damit ein Luxusleben zu finanzieren.
Das Kindergeld ist eine Sozialleistung um Familien, egal welchen Standes finanziell zu entlasten. Wobei natürlich gerade bei ärmeren Familien diese Hilfe unbedingt benötigt wird. Sieht in Deutschland doch exakt genauso aus und zwar schon seit einer gefühlten Ewigkeit.
Vielen Dank für deinen Blog, als Deutscher der in Polen lebt schätze ich deine (deutschsprachige) Sichtweise auf das polnische Alltagsleben sehr.
Gruß
Hallo Denis,
vielen Dank für Deinen Kommentar und die Fragen.
Das Kindergeld 500+ ist per se nichts Schlechtes. Aber man muss das Programm differenziert betrachten. Die Regierung verfolgt insgesamt drei Ziele: Verbesserung der Geburtenrate, Verringerung der Kinderarmut und die Investition in die Familie. Indirekt wird auch die Bekämpfung der Ungleichheit erwähnt, ist aber nicht in den offiziellen Punkten enthalten. Das sind jedoch nur die Symptome, nicht die Ursachen. Ursachen für die Armut generell sind andere Aspekte: schlechtere Schulausbildung, schlechtere Fremdsprachenkenntnisse, pathologische Zustände in kleinen Städten und Dörfern etec. Die Familien erhalten also zusätzliches Geld, aber es wird keine systematische Hilfe angeboten. Die Kinder sind trotz des Programms 500+ wesentlich schlechter auf den Arbeitsmarkt vorbereitet, erhalten niedrigere Löhne im Erwachsenenleben und sind in 30 Jahren in zweiter Generation auf das Hilfsprogramm 500+ angewiesen.
Würde man die über 40 Mrd. PLN in systematische und nicht transitionelle Hilfe investieren, dann bräuchten die ärmeren Kinder aus der polnischen Provinz in Zukunft keine weitere Unterstützung (im Idealfall). Du hast Recht, wenn Du sagst, dass in Deutschland etliche Familien auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, aber in Deutschland ist das Kindergeld nicht das Hauptprogramm des Staates. In Polen hingegen wird für die eigentliche Sozialhilfe knapp 4 Mrd. PLN ausgegeben, darunter Arbeitslosengeld oder Wohngeld. Für Kindergeld über 40 Mrd. PLN, also 10 Prozent des Gesamtsozialausgaben.
Die Kritik der „kinderlosen Menschen“ in Polen ist dahingehend total absurd. Wenn jemand glaubt, dass 500 PLN pro Monat (oder gar 1500 PLN für eine Familie mit drei Kindern) zu einem Leben in Luxus führen, der hat die Realität aus den Augen verloren. Ärmere Familien sollen diese Geld bekommen, ich wäre sicherlich dafür; aber nicht um jeden Preis. Man muss sich hier die Frage stellen, ob es nicht billigere und vor allem effizientere Hilfe gäbe. Und das muss bejaht werden. Das Kindergeld will ich nicht kritisieren. Auf kurzer Distanz wird es helfen. Aber in langfristiger Sicht wird es den Menschen dadurch nicht unbedingt besser gehen.