Wenn man beim Betreten der Zebrastreifen in Polen beobachtet, stellt man fest, dass dabei hohe Vorsicht herrscht. Die Autofahrer lassen nur in den seltensten Fällen den vor den weißen Streifen stehenden Fußgänger vorbei. Lediglich in den Städten geht es kultivierter zu. Woher kommt diese Vorsicht an den Fußgängerüberwegen und warum fordern die Fußgänger nicht den Vorrang ein? Es scheint nämlich, als hätten sich damit alle abgefunden. Oder glauben Sie, dass die Fußgänger hier Vorrang haben?
Zebrastreifen in Deutschland | Wie ist die rechtliche Lage?

Die mit weißen Streifen bemalten Straßenabschnitte heißen umgangssprachlich Zebrastreifen, offiziell sind es schlicht Fußgängerüberwege.
Die Straßenverkehrsordnung in Deutschland (StVO) regelt in § 26 (Fußgängerüberwege):
1. An Fußgängerüberwegen haben Fahrzeuge […] den Fuß Gehenden sowie Fahrenden von Krankenfahrstühlen oder Rollstühlen, welche den Überweg erkennbar benutzen wollen, das Überqueren der Fahrbahn zu ermöglichen. Dann dürfen sie nur mit mäßiger Geschwindigkeit heranfahren; wenn nötig, müssen sie warten
2. Stockt der Verkehr, dürfen Fahrzeuge nicht auf den Überweg fahren, wenn sie auf ihm warten müssten
3. […]
4. […]
Geregelt ist also der sogenannte Vorang von Fußgängern an Fußgängerüberwegen.
In folgenden Ländern ist die rechtliche Regelung ähnlich:
Land |
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Österreich |
Belgien |
Bulgarien |
Tschechische Republik |
Dänemark |
Niederlande |
Schweiz |
In Frankreich und Norwegen muss der Fußgänger noch nicht mal anzeigen, dass er durchgehen möchte. Der Autofahrer ist ohnehin verpflichtet den Fußgänger durchzulassen (Quelle: transportpubliczny.pl / polnisch).
Zudem dienen die Fußgängerüberwege als Hinweis auf ein Halteverbot bis zu fünf Meter vor den Übergängen (Anlage 2 – Straßenverkehrs-Ordnung / StVO / lfd. Nr. 66 / Zeichen 293). Das Verkehrszeichen 350-10 dient als Hinweis auf einen solchen Fußgängerüberweg.
Zebrastreifen in Polen | Wie ist die rechtliche Lage?
Den folgenden Satz müssen Sie sich unbedingt merken: an Zebrastreifen in Polen hat der Fußgänger keinen Vorrang !!!
Gemäß der heute in Polen herrschenden Regeln hat der Fußgänger – stark vereinfacht – erst dann Vorrang, wenn er sich schon auf dem Zebrastreifen befindet. Solange er sich noch davor befindet, kann er rübergehen, wenn
- keine Fahrzeuge in der Nähe sind
- ein Autofahrer nett ist und den Fußgänger erkennbar durchlassen will
Daher kommt es, dass bei Rechtsstreitigkeiten die Fahrzeugführer den berühmten Satz sagen „Der Fußgänger ist auf den Zebrastreifen gelaufen, obwohl ich schon in unmittelbarer Nähe war“. Wenn der Fußgänger nicht auf den Streifen stand, stand er logischerweise noch davor, was heißt, dass er schuldig ist.
Artikel 13.1. der polnischen Straßenverkehrsordnung von 1997 (kodeks drogowy – prawo o ruchu drogowym z 19.08.1997 r.) sagt,
Der Fußgänger hat bei der Überquerung der Fahrbahn oder des Gleisbettes die Pflicht besondere Sorgfalt einzuhalten […]. Der Fußgänger, der sich auf diesem Überweg befindet, hat Vorrang vor dem Fahrzeug
polnische Version: Pieszy, przechodząc przez jezdnię lub torowisko, jest obowiązany zachować szczególną ostrożność […]. Pieszy znajdujący się na tym przejściu ma pierwszeństwo przed pojazdem.
Daher ist es nicht so, dass sich die Autofahrer in Polen nicht an die Gesetze halten. Ganz im Gegenteil. Es ist sogar so, dass wenn sie einen Fußgänger durchlassen, sogar mehr tun, als sie müssen. Es kommt jetzt nur noch darauf an, aus welcher Perspektive man das beurteilt.
Vorrang am Zebrastreifen in Polen. Sejm sagt JA …

Der Kampf um den Vorrang für den Fußgänger begann am 30. September 2013. Die Abgeordnete Beata Bublewicz von der Bürgerplattform (PO) hat im Sejm einen Entwurf zur Gesetzesänderung vorgelegt. Es gab dahingehend verschiedene Konzepte. Nach der Kommissionsarbeit entschied man sich für die Variante, dass der Fußgänger zwar Vorrang hätte, sich jedoch vor Betreten des Zebrastreifens vergewissern sollte, dass sich kein Auto gefährlich nähert und dem Übertretungswilligen den Vorrang zudem auch gewährt. Problematisch und ungelöst war der Moment des Betretens des Überweges. Das würde sich jedoch – so die Ideengeber – nach der Einführung von selbst lösen. Insgesamt hatte das Projekt einen vielversprechenden Klang.
Im Oktober 2015 kam es schließlich zur Abstimmung. Der Sejm hat mit 215 zu 187 Stimmen dem Entwurf zugestimmt. Der Zustimmung des Senates war man sich so gut wie sicher, sodass die Medien schon vor der Abstimmung im Senat die frohe Botschaft verkündeten. Ab dem 1. Januar 2017 sollte die Gesetzesänderung in Kraft treten. Die ausländischen Medien ließen ihre Leser ebenfalls in dem Glauben zurück, dass die neuen Regeln gelten würden.
… Senat sagt NEIN!
Doch der Senat stimmte mit 38 zu 37 Stimmen dagegen und die fast zweijährigen Streitigkeiten in der Komission, die dieses Projekt vorbereitete, schienen verlorene Zeit gewesen zu sein. Aleksander Pociej von der Bürgerplattform (PO) hat sehr dafür gekämft den Entwurf als Ganzes abzulehnen. Er argumentierte es damit, dass dadurch der Verkehr in großen Städten noch mehr ins Stocken geraten würde. Noch konnte der Sejm trotz des Vetos des Senates das Gesetz durchboxen. Es kam also zur erneuten Abstimmung. Es fehlten leider 3 Stimmen für die notwendige Mehrheit. Das Projekt wurde endgültig ad acta gelegt. Die damals in der Opposition stehende PiS stimmte gemeinsam mit einigen Abgeordneten der regierenden PO gegen das Projekt mit der Erklärung, dass sich mit der Gesetzesänderung die Sicherheit der Fußgänger verschlechtern würde.
Die Autofahrer würden die Regeln sowieso nicht befolgen
Neue Regierung, neue Hoffnung XI 2015 – 2019
Von 2015 bis 2019 regierte die PiS nun mit absoluter Mehrheit sowohl Sejm sowie im Senat. Es bestand die Hoffnung, dass die neue politische Führung den Entwurf von 2013 ohne Gegenstimmen schnell und schmerzlos durchbringen würde. Doch erneut wurden die Fußgänger enttäuscht. Im März 2019 verkündete Dariusz Minkiewicz aus dem Innenministerium, dass der aktuelle Gesetzeslaut nicht verändert wird, weil in jenem Projekt nicht alle Verkehrsteilnehmer einbezogen wurden. Die Begründung ist also dieselbe wie schon 2013: aus Sorge um den armen Fußgänger bleibt es wie es ist. Die Autofahrer würden höchstwahrscheinlich, so die Regierung, die neuen Gesetze nicht befolgen. Das würde zum Anstieg von Unfällen führen.
2019 hat die PiS die Parlamentswahlen erneut für sich entscheiden können, dieses Mal jedoch ohne der absoluten Mehrheit im Senat, was viele Gesetzesinitiativen bei den gegenseitigen Ressentiments künstlich in die Länge zieht.
Vielleicht 2020?
Und dann verkündet der Premierminister Morawiecki persönlich revolutionäre Veränderungen im Straßenverkehr. Am 15.12.2019 hielt er eine Ansprache zum Thema Verkehrssicherheit. Seit ein paar Jahren hat sich die Statistik bei rund 3000 Verkehrstoten festgesetzt. Das ist im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung und gefahrener Kilometer eines der schlechtesten Ergebnisse europaweit.
Der Premierminister versprach die „baldige“ Einführung von drei neuen Regelungen. Konkrete Termine wurden nicht genannt.
- Vorrang für Fußgänger
- eine ganztätige Geschwindigkeitsbegrenzung bis 50km/h in geschlossenen Ortschaften
- die Möglichkeit eines Führerscheinentzugs bei einer Geschwindigkeitsbegrenzung von mehr als 50 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften
Warum tut man sich in Polen mit dem Vorrang an Zebrastreifen so schwer? Weil der Fußgänger gezielt als Bösewicht dargestellt wird. Die Autofahrer sind organisiert und sehr zahlreich. Der Fußgänger hat noch nicht verstanden, dass warten und hoffen nicht ausreicht. Deshalb ist es in den Städten wesentlich sicherer als auf dem Lande.
Wer ist Schuld?
Autofahrer behaupten, dass die Fußgänger oftmals selbst Schuld an ihrem Tod an Straßenübergängen seien. So nach dem Motto: Frauen mit sehr kurzen Röcken und sexy Bekleidung sollen sich nicht wundern, dass sie vergewaltigt werden. Die Fußgänger hängen angeblich ständig am Telefon oder schrieben SMS oder hörten Musik mit Kopfhörern.
Doch die Statistiken sind dahingehend sehr genau. 67,5 Prozent aller Unfälle auf Polens Straßen gehen auf die Kappe derjenigen Autofahrer, die den Fußgängern den Vorrang nicht gewährten (nach aktueller Regelung) oder die Richtgeschwindigkeit überschritten. Das Institut für den Autotransport hat festgestellt, dass innerorts 85 Prozent und außerorts 90 Prozent aller Autofahrer die Richtgeschwindigkeit überschritten haben. Dagegen sprachen 5 Prozent der Fußgängern per Telefon und nur 1 Prozent schrieb beim Übergang eine SMS.
Nackte Zahlen
2016 waren in Polen nahezu 30 Prozent aller Verkehrstoten Fußgänger. das sind 1000 Menschenopfer. Insgesamt kamen 2993 Menschen bei 33 350 Unfällen ums Leben, 40 343 wurden dabei verletzt.
Jeder fünfte Fußgänger, der in der Europäischen Union bei einem Unfall ums Leben kam, kam aus Polen (2018).
2016 gab das Warschauer Verkehrsamt eine Sicherheitsstatistik heraus. Demmnach waren 2015 sogar 53 Prozent der 61 Verkehrstoten Fußgänger. Meistens sind es Menschen, die 55 Jahre und älter sind. An Fußgängerüberwegen fanden zudem zweidrittel aller Unfälle statt. Gleichzeitig sind die Fußgänger in nur 10 Prozent der Fälle die Schuldigen.
Ende Oktober 2019 fuhr ein BMW-Fahrer in Warschau mit 130 km/h in eine dreiköpfige Familie, welche sich auf dem Zebrastreifen befand. Der tragische Unfall ereignete sich innerorts. Die Geschwindigkeitsbegrenzung betrug an jener Stelle 50 km/h. In letzter Sekunde konnte der Familienvater die Frau und den Kinderwagen zur Seite schieben. Der Aufprall war jedoch so heftig, dass er am Unfallort verstarb.
Beitragsbild: Zebrastreifen © Sascha Kohlmann [CC BY-SA 2.0]
In Polen wurde das Gesetz der Zebrastreifen 2017 geändert. Fussgänger haben generell, wie in der Deutschen StVO, das Vorrecht am oder auf dem Zebrastreifen. Ein Vergehen des Autofahrers wird mit 100€ bestraft.
Lieber Herr Wiesner,
das Änderungsgesetz (2015), welches ab 2017 den Fußgängern in Polen den Vorrang einräumen sollte, ist eben nicht in Kraft getreten, da der Senat ein Veto eingelegt hat.
Daher gilt immer noch das alte Recht, wonach die Fußgänger stets auf großzügige Gesten der Autofahrer hoffen müssen.
Die jetzige Regierung will das Projekt des Änderungsgesetzes aktuell wieder aufnehmen.
Warum wurde ich denn von der Polizei ermahnt, das ich den Fussgängern vorrecht zu gewähren hätte, wie in Deutschland auch? In der Sendung Uwaga Pirat wird auch immer darauf hingewiesen, dass sich die Regeln zugunsten der Fussgänger geändert hat. Ich finde nur: Wtargnięcie na jezdnię
Prawidłowe korzystanie z przejścia dla pieszych wiąże się z obowiązkiem zachowania szczególnej ostrożności przez pieszego. Pomimo tego, że dysponuje on pierwszeństwem na przejściu, powinien on swoje zachowanie dostosować do sytuacji. Przede wszystkim gwałtowne wejście na przejście pod nadjeżdżający samochód może być potraktowane jako wtargnięcie na jezdnię. Jak zauważył Sąd Najwyższy w wyroku z 15 maja 2002 r. (sygn. IV KKN 149/97)
W takiej sytuacji wina za wypadek może spaść na pieszego, mimo że kierowca potrąci go na przejściu.
Da steht, der Fussgänger hat Vorfahrt, aber erzwingen darf er es nicht.
LG Jörg……Moje Trójmiasto Gdańsk
Gdy Pomorze nie pomoże, to pomoże może morze, a gdy morze nie pomoże, to pomoże może Gdańsk.
Antwort auf Jörg Wiesner vom 20.X.2017 11:51:
Ich denke, dass Sie bei Ihrem Fall etwas vertauschen. In der angehängten Rechtssache ((sygn. IV KKN 149/97) ist ein kleines Wort entscheidend. In Deutschland hat der Fußgänger schon vor dem Fußgängerüberweg Vorrang. In Polen hat der Fußgänger erst AUF dem Fußgängerüberweg Vorrang. Dass die Polizei gesagt hat „Wie in Deutschland auch“ ist insoweit richtig, als es sich um den Fußgänger AUF den Zebrastreifen handelt. Im Text des Sąd Najwyższy steht auch nur etwas von der Situation AUF den Zebrastreifen. Des weiteren gilt der Satz: Pierwszeństwo pieszego obowiązuje jednak tylko NA przejściu. Przy przechodzeniu poza przejściem pieszy jest obowiązany ustąpić pierwszeństwa pojazdom > DEUTSCH: Der Fußgängervorrang gilt nur AUF dem Fußgängerüberweg. Bei der Überquerung ist der Fußgänger verpflichtet den Fahrzeugen den Vorrang zu gewähren.
Vielen Dank für den interessanten Artikel. Dass Fußgänger den „Zebrastreifen“ als besonders geschützten Überweg nutzen können sollen, steht ausser Frage. Somit finde ich das in Deutschland geltende Gesetz auch sehr sinnvoll. Leider bemerke ich in den letzten Jahren immer mehr ein nicht unbedingt kooperatives Verhalten von Seitens der Fußgänger. Da wird ohne zu schauen einfach die Straße überquert, oftmals aus dem Dunkel des Gehwegs geradewegs auf den Übergang. Oder es wird bewusst langsam die Straße überquert.
Trotzdem ist es wichtig, dass wir uns alle darüber klar sind, dass der Fußgänger im Miteinander (oder Gegeneinander) des Straßenverkehrs das schwächste Glied ist, das besonders geschützt gehört.
Wenn man allerdings den Zebrastreifen dann gerade 50 Meter neben der Stelle anlegt, an der Karl-Eugen und Erna schon seit fünfzig Jahren die Straße überquert haben, kann man auch erleben, dass Karl-Eugen und Erna weiterhin die Straße da überqueren, wo sie es schon immer getan haben.
Übrigens: Die in Tokio gesehenen Zebrastreifen diagonal über die Kreuzung finde ich Klasse. Tolles Feeling, wenn man da drüber läuft.
Viele Grüße
Jörg
Wenn ich diesen Artikel lese, kann ich das nicht glauben. Meine Erfahrungen sind total anders. Nun kenne ich bisher nur Kolobrzeg (Kolberg). Als ich vor drei Jahren das erste mal dort war, fiel mir das angenehm auf. Autofahrer hielten bereits am Zebrastreifen, obwohl ich nur orientierungslos an der Kreuzung stand. Ich ging dann anstandshalber über den Zebrastreifen. Nur wenn ein Auto mit deutschem Kennzeichen kommt, ist Vorsicht angesagt. Die geben gerne noch mal schnell Gas. Nur vereinzelt beobachte ich das bei Fahrzeugen mit polnischem Kennzeichen. Dann denke ich, der oder die arbeitet bestimmt in Deutschland und hat sich dort diese Unart angewöhnt. Nur zur Information, ich bin seit drei Jahren sehr viel in Kolobrzeg. Das ist also nicht nur eine einzelne Beobachtung. Kolobrzeg ist meine zweite Heimat geworden.
Lieber Ditze,
ich kann mich an meinen Urlaub in Kolberg 2016 erinnern und tatsächlich war ich positiv überrascht, wie entspannt der Verkehr dort ist.
Doch allgemein lässt das Verhalten auf Polens Straßen noch viel zu wünschen übrig.
Man kann noch zum Teil anhand der Fahrweise erkennen, wo die jeweiligen Teilungsgebiete lagen 🙂
Viele liebe Grüsse
Antoni