Jede Medaille hat zwei Seiten
In meinem Artikel „Allerheiligen? Ab nach Warschau“ wollte ich Ihnen voller Stolz mitteilen, wie wundervoll und schön die Feierlichkeiten auf dem Warschauer Powązki-Friedhof in Warschau sein können und tatsächlich auch jedes Jahr sind.
Doch bei all dem Trubel, fröhlichem Chaos und der anschließenden Atmosphäre voller Ruhe und Besinnung, die man am Abend auf den Friedhöfen spürt, gibt es nach ALLEN Allerheiligen-Wochenenden die traurige Statistik über die Anzahl der betrunkenen Autofahrer, Unfälle und Toten. Bei all meiner Liebe zu Polen und vor allem zu Warschau – ich bin jedes Mal enttäuscht über die hohen Totenzahlen, welche nicht von ungefähr kommen. Den Polen fehlt schlicht und einfach das vorausschauende Autofahrer-Auge. Es nervt wirklich, wenn man ständig den hetzenden Vollidioten ausweichen muss, weil die glauben, dass größere Autos ihnen mehr Rechte einräumen, weil sie mehr Pferdestärken unter der Maske haben. Viele schaffen es dabei schließlich nicht dem Totengräber von der Schippe zu springen.
Aktion „Grablicht“ (poln. znicz)
Jedes Jahr wird die Polizei in höchste Bereitschaft gestellt. Mit Unterstützung der Stadtpolizei (straż miejska), der Militärpolizei (żandarmeria wojskowa) sowie zahlreicher Pfadfinderorganisationen kontrolliert sie vermehrt Ausfallstraßen und die angrenzenden Straßen an den Friedhöfen, führt zahlreiche Alkoholkontrollen durch und versucht das immense Verkehrsaufkommen im Schach zu halten. Die Aktion Grablicht beginnt zumeist einen Tag vor Allerheiligen und dauert bis zum 3. November. In den Medien werden die Autofahrer zu Vorsicht und Rücksichtnahme ermahnt. Am Ende heißt es: zählen!
Wieviele Gräber kommen hinzu?
428 Unfälle, 39 Tote und 531 Verletzte. Jeder elfte Unfall endete mit dem Tod des Fahrers. Letztes Jahr (2015) war es jeder achte.
Es wurden zudem 1197 alkoholisierte Autofahrer angehalten. Letztes Jahr waren es 1337. Der Polizeisprecher nennt das einen Erfolg der Aufrufe und der Aufklärung in den Medien in den letzten Wochen und Monaten.
Ist diese Bilanz nicht erschreckend? Ich werde Polen und Warschau im deutschen Sprachraum würdig vertreten und falsche Beschuldigen versuchen klarzustellen. Doch beim Autofahren in diesem Land hört für mich der Spaß auf. Es ist widerlich, wenn ich sehe, dass mich eine Frau bei 120 km/h von hinten drückt und zwingt, zur Seite zu fahren, obwohl links und vor mir überall andere Autos fahren. Dabei sei erwähnt, dass die Geschwindigkeitsbegrenzung bei 110 km/h lag. Das war aber noch nicht das Eklige – es war vielmehr die Tatsache, dass ich während ihres Überholvorganges ein kleines Kind auf einem Kindersitz sah. Falls diese Frau Deutsch versteht und eventuell diesen Abschnitt gerade liest: SCHÄMEN SIE SICH!!!!
Lösung: Schilder richtig lesen
Das soll jetzt auch nicht heißen, dass man mit dem Auto nicht nach Polen kommen sollte. Es überleben nämlich die, die sich an die Regeln halten. Falls Sie also Polen mit dem eigenen Gefährt erkunden wollen, dann lesen Sie einfach die Straßenschilder und übersetzen Sie diese auch richtig. 50 heißt 50, 70 heißt 70 – übrigens ist das in allen Sprachen der Welt so – ganz einfach. Dann kann nichts schief gehen. Die Idioten ignorieren Sie einfach, denn das ist für die schon die größte Strafe.
Wie weit ist Europa?
Die angehängte Tabelle ist der Grund, warum bei diesem Thema kein Blatt vor den Mund genommen werden darf. Ich persönlich werde nicht einfach zuschauen und weiterhin den Status eines „nervigen Sonntagsfahrers“ beibehalten.
2015 starben in Deutschland 3459 Menschen, was 43 Tote je 1 Million Einwohner sind. In den Niederlanden waren es gerade mal 28. In Polen waren es 77. Nur in Lettland, Litauen, Kroatien, Rumänien und Bulgarien war es schlimmer. In der ganzen EU sind 26.000 Menschen ums Leben gekommen. Am sichersten war es auf den Autobahnen, wo nur 7 Prozent der Opfer ihr Leben lassen mussten.
Wie können wir alle überleben?
Die Verkehrstoten in Polen werden immer weniger. 1994 gab es bei 10 Millionen registrierten Kraftfahrzeugen 6744 Verkehrstote. Heute fahren schon über 26 Millionen Fahrzeuge auf Polens Strassen. Es liegt eine deutliche Verbesserung vor, was natürlich nicht heißt, dass man jetzt nachlassen darf. Es gibt noch viel zu tun, damit man in Ruhe und sicher von A nach B kommt. Vor allem müssen die Polen an sich selbst arbeiten und aufhören mit dem Glauben, dass der Stärkere automatisch mehr Rechte hat. Es ist dringend notwendig, dass man vorausschauend fährt, die Fahrradfahrer und Fußgänger „sieht“ und dass der Stärkere und Grössere eine viel höhere Verantwortung trägt gegenüber dem kleineren Gefährt. Mit Strafen und Kontrollen wird man dieses Ziel nicht erreichen. Das nämlich fängt schon in der Kinderstube an und muss dort vor der Führerscheinprüfung verinnerlicht und gelebt werden.
Kommentare