Am 19. Oktober hat sich der 54-jährige Piotr Szczęsny auf dem Defiladenplatz vor dem Kulturpalast in Warschau angezündet.
Am Ort des Geschehens fand man einen mehrmals auf Flyern gedruckten Brief, welcher im Internet veröffentlicht wurde. Im folgenden können Sie die deutsche Übersetzung lesen.
Der deutsche Text übersetzt aus dem Polnischen
Ich könnte noch mehr Proteste gegen die aktuelle Staatsmacht formulieren, aber ich habe mich auf diese konzentriert, welche entscheidend sind, welche sich gegen die Existenz, die Funktionsfähigkeit des ganzen Staates und der Gesellschaft richten.
Ich stelle keine Forderungen an die jetzige Staatsmacht, weil ich denke, dass das sowieso nichts bringen würde. Viele Menschen, die klüger und bekannter sind als ich, forderten die aktuelle Staatsmacht auf verschiedene Handlungen vorzunehmen. Genauso taten es viele polnische wie europäische Institutionen. Die Forderungen wurden unverändert ignoriert und die Forderer wurden mit Schlamm beworfen. Sicherlich werde auch ich dafür, was ich getan habe, mit Schlamm beworfen. Aber zumindest werde ich in guter Gesellschaft sein.
Ich will jedoch, dass der Vorsitzende der PiS und die Nomenklatur der PiS zur Kenntnis nehmen, dass mein Tod sie alle direkt belastet und dass sie mein Blut auf ihren Händen haben.
Meine Forderung richte ich an alle Polen und Polinnen, die darüber entscheiden wer in Polen regiert, dass sie sich dem entgegenstellen, was die jetzige Regierung macht und gegen was ich protestiere. Und lasst euch nicht täuschen, dass alle Zeit wieder die Handlungen der Staatsmacht sich beruhigen und den Anschein von Normalität erwecken (so wie in letzter Zeit) – in einigen Tagen oder Wochen werden sie wieder in die Offensive gehen, wieder werden sie das Recht verletzen. Und sie werden niemals zurücktreten und zurückgeben, was sie schon erobert haben.
Es gibt ein durchaus abgedroschenes, doch sehr passendes Sprichwort: Wenn nicht wir, wer dann? Wer, wenn nicht wir, die Bürger, hat Ordnung zu schaffen in unserem Land? Wenn nicht jetzt, wann dann? Jeder Moment des Aufschubs führt dazu, dass sich die Situation im Land verschlechtert und dass es immer schwieriger wird alles zu reparieren.
Vor allem fordere ich diejenigen auf, die die PiS unterstützen – auch wenn euch die Postulate der PiS gefallen, nimmt in Kenntnis, dass nicht jeder Weg ihrer Verwirklichung zulässig ist. Verwirklicht eure Ideen im Rahmen des demokratischen Rechtsstaates und nicht so, wie ihr es aktuell macht.
Die, die die PiS nicht unterstützen, weil ihnen die Politik egal ist oder weil sie andere politische Präferenzen haben, fordere ich auf zu Handeln – es reicht nicht aus abzuwarten, was die Zeit bringt, es reicht nicht aus seine Unzufriedenheit in seinem Freundeskreis zu verkünden, man muss handeln. Es gibt wirklich viele Formen und Möglichkeiten.
Ich bitte euch jedoch, dass ihr daran denkt, dass die PiS-Wähler unsere Mütter, Brüder, Nachbarn, Freunde und Kollegen sind. Es geht nicht darum mit ihnen einen Krieg zu führen (das will die PiS) oder sie zu „bekehren“ (weil das naiv ist), aber darum, dass sie ihre Ansichten nach den Regeln des Rechts und der demokratischen Prinzipien realisieren. Vielleicht reicht auch ein Wechsel der Parteiführung aus.
Ich, ein normaler, grauer Mensch, so wie ihr es seid, fordere euch auf – wartet nicht länger. Man muss diese Staatsmacht so schnell wie möglich ändern bevor sie dieses Land vollständig zerstört, bevor sie uns unsere Freiheit ganz wegnimmt. Und ich liebe meine Freiheit über alles. Deshalb habe ich beschlossen mich selbst zu verbrennen und hoffe, dass mein Tod das Gewissen viele Menschen berührt, dass die Gesellschaft aufwacht und dass ihr nicht wartet bis die Politiker alles für euch machen – weil sie es nicht machen werden.
Wacht auf! Noch ist es nicht zu spät!
- Ich protestiere gegen die Beschänkung der bürgerlichen Freiheiten durch die Behörden/Staatsmacht.
- Ich protestiere gegen die Verletzung der Prinzipien der Demokratie insbesondere gegen die Vernichtung (in der Praxis) des Verfassungsgerichtshofes und die Zerstörung des unabhängigen Gerichtssystems.
- Ich protestiere gegen die Rechtsverletzungen der Staatsmacht, insbesondere gegen die Verletzung der Verfassung der Republik Polen. Ich protestiere gegen die Tatsache, dass die, die dafür verantwortlich sind (u.a. der Präsident) jedwede Handlungen in Richtung der Veränderung der aktuellen Verfassung vornehmen – erst sollen sie die, welche gerade gilt, befolgen.
- Ich protestiere gegen eine solche Machtausübung, dass Personen auf den höchsten Positionen im Staat Anweisungen ausführen, die vom näher nicht bestimmten Entscheidungszentrum, welches mit dem Vorsitzenden der PiS verbunden ist, ausführen und dass diese Entscheidungszetntrum für diese Entscheidungen keine Verantwortung trägt. Ich protestiere gegen eine solche Arbeit im Sejm, wenn Gesetze im Eiltempo geschafften werden, ohne Diskussion und entsprechender Konsultationen, oft während der Nachtstunden, und dann müssen sie fast sofort korrigiert werden.
- Ich protestiere gegen die Marginalisierung der Rolle Polens auf der internationalen Ebene und das Lustigmachen über unser Land.
- Ich protestiere gegen die Vernichtung der Natur, vor allem durch diejenigen, die sie beschützen sollen (Abholzung der Puszcza Białowieska und anderer wertvoller Gebiete, Bevorzugung der Fischereilobby, Werbung für die Kohleenergie).
- Ich protestiere gegen die Teilung, Stärkung und Vertiefung der (gesellschaftlichen) Teilungen. Insbesondere protestiere ich gegen die Schaffung der „Smolensk-Religion“ und die darauf basierende Teilung der Menschen. Ich protestiere gegen die hassgeprägten Demonstrationen, wie es im Falle der monatlichen Smolenskmärsche der Fall ist, gegen die Sprache der Fremdenfeindlichkeit und des Hasses, welche von der Staatsmacht in die öffentlichen Debatten eingeführt wird.
- Ich protestiere gegen das Besetzen aller möglichen Stellen mit seinen Leuten, die in den meisten Fällen keine entsprechenden Qualifikationen besitzen.
- Ich protestiere gegen die Verringerung der Leistungen, die Bewerfung mit Schlamm und die Zerstörung der Autoritäten, wie es Lech Wałęsa ist, oder die ehemaligen Vorsitzenden des Verfassungsgerichtshofes.
- Ich protestiere gegen die übermäßige Staatszentralisierung und die Gesetzesänderungen bezüglich der Selbstverwaltung und Nichtregierungsorganisationen mit Nutzen nur für die regierende Partei.
- Ich protestiere gegen die feindliche Einstellung der Staatsmacht zu den Immigranten sowie gegen die Diskriminierung verschiedener Minderheitsgruppen: Frauen, homosexuelle Personen und anderer LGBT, Moslems und anderer.
- Ich protestiere gegen die komplette Entmündigung des öffentlichen Fernsehens und nahezu des gesamten Radios und der Schaffung von Propaganda-Medien des Staates. Vor allem tut mir die Zerstörung des Radiosenders Trójka weh (zum Glück noch nicht ganz) – ein Radiosender, welchen ich seit meiner Jugend höre.
- Ich protestiere gegen die Ausnutzung der Geheimdienste, der Polizei und Staatsanwaltschaft zur Verwirklichung der eigenen Ziele (privaten oder parteilichen).
- Ich protestiere gegen die nicht durchdachte, nie zur Konsultation gegebene und nicht vorbereitete Bildungsreform.
- Ich protestiere gegen die Ignorierung der großen Proteste des Gesundheitswesens.
Piotr Szczęsny war Chemiker und Mitglied der polnischen Mensa-Gesellschaft, eines Vereins für Menschen mit einem hohen Intelligenzquotienten.
Er wurde am 14. November 2017 auf dem Salwator-Friedhof in Krakau bestattet.
Was für ein schlauer Mensch, ich kann mich mit allem identiffizieren. In jedem Punkt. Ich hoffe, daß dieser Mann überlebt und alle Unterstützung erhällt. Solche Menschen braucht das Land. Hoffe, wir hören noch mehr von ihm.
Hallo Agate,
leider ist der Mann einige Tage später im Krankenhaus verstorben.
ist Polen schon verloren ? oder gilt immer noch —- NOCH IST POLEN NICHT VERLOREN
Es ist schwer, da auf Like zu klicken. Mein „Like“ soll zum Einen der Dank sein, dass in diesem Blog der Brief übersetzt und berichtet wird.
Und zum anderen aber auch meine Betroffenheit ausdrücken, dass Menschen keinen anderen Weg mehr sehen, einer Politik entgegen zu wirken, die ein Grundrecht der Menschen, nämlich die Freiheit, einschränkt.
Ich bin erschüttert, aber meiner Kenntnis nach hat dieser Mann in allen Punkten recht. Vielleicht gibt es doch ein paar Politiker der PiS, die jetzt nachdenklich werden.