S eit einigen Jahren schon kann man beobachten, dass Touristen (nicht nur aus Deutschland) aus aller Welt auf Reisen in Polen vermehrt nach einem guten Piroggenrestaurant fragen. Das ist aus heutiger Sicht nichts aussergewöhnliches, war jedoch nicht immer so. In der Vergangenheit hat in den Köpfen der Auslandsgäste ein ganz anderes Gericht dominiert. Um welche beiden Speisen es sich dabei handelt und wie sich diese Veränderung vollzogen, das möchte ich in diesem Beitrag erläutern.
Inhalt
Am Anfang war alles Bigos

Eines muss ich vorweg klären: Es geht um die Bekanntheit polnischer Gerichte außerhalb von Polen oder unter Auslandsgästen in Polen. Die Essgewohnheiten der Polen in Polen unterscheiden sich dahingehend vehement.
Ich kann mich noch ganz gut daran erinnern, dass in den 90ern und bis in die 2000er Jahre hinein stets der Bigos die wohl bekannteste Mahlzeit aus Polen war. Nicht alle wussten, worum es sich dabei handelte, aber es klang irgendwie exotisch. Für deutschsprachige Gäste war der Name allein schon so anders als Deutsch, dass es sich um etwas spezielles handeln musste. Und so hatte Polen damals neben den Priestern als Exportschlager und Adam Malysz als Skisprung-Gott auch ein Drittes Gut, was dem Land alle Ehre machte. Aber es war halt eben nur Bigos, ein Misch-Masch aus Sauerkraut, frischem Kraut, Schweinefleisch, Wurst, Zwiebeln und Pilzen. Im 17. Jahrhundert nannten unsere polnischen Vorfahren so eine Mahlzeit, die aus kleingehackten Resten des Vortages zubereitet wurde. Im Laufe der Zeit wurde das Gericht verfeinert und ordentlich gewürzt, sodass es nach einer kontrollierten Speise aussieht.
Alles Gute hat ein Ende
Der Bigos ist wie die schlechte Variante der Europäischen Union
Die Hochsaison des Bigos ist jedoch vorbei. Kaum jemand sucht in Polen nach einem guten Bigos-Restaurant. Der Bigos musste weichen und das Zepter des bekanntesten polnischen Gerichts an die Piroggen überreichen. Es ist natürlich Schade, aber die unsichtbare Hand des Marktes hat auch hier mit voller Wucht zugeschlagen. Warum hat sich der Bigos so leicht vom Podest stoßen lassen? Weil er wie die schlechte Variante der Europäische Union ist, eine Vielfalt ohne Unterscheidungsmerkmale. Alles ist so sehr miteinander vermischt, dass man gar nicht weiß, was drinsteckt, und es lässt sich auch gar nicht mehr festellen, ob ein Bestandteil nicht vielleicht schlecht ist. Zudem ist der Bigos rein visuell nicht sehr anziehend. Es ist sogar schwierig ein geeignetes Bild vom Bigos im Internet zu finden. Zudem sah die polnische Gastrowelt in der Zeit der ersten Prosperity nach 1990 ganz ander aus. Es gab keine Kettenrestaurants, sondern nur die kleinen privaten Küchen „u Jurka (bei Jurek)“ oder „u Magdy (bei Magda)„. Es gab kein Internet, Werbung oder Unternehmen mit Logos, sodass im Ausland das auf Interesse stieß, was hervorstach. Bigos eben.
Die Ära der Piroggen

Das Zeitalter der Piroggen in Polen kam mit der zweiten Prosperity nach dem Beitritt in die Europäische Union 2004 und dem Beginn der Goldenen Dekade nach der Fussball-Europameisterschaft 2012. Diese Phase ist gekennzeichnet durch das überaus starke Aufblühen der polnischen Städte in Bereichen wie Tourismus, Wirtschaft, Kultur und Infrastruktur. Zum ersten Mal in Polens Geschichte übernehmen die Großstädte die Führungsrolle hinsichtlich der Kreierung des Gesamtbildes Polens und seiner Bewohner. Es entstehen Restaurantketten und gastronomische Betriebe mit Spezialangeboten, die nicht mehr von Jurek oder Magda, sondern von Managern geleitet werden. Sie nutzen das Internet und Social Media, entwickeln schöne Logos und verschicken die Frohe Botschaft in die Welt hinaus. Ein Beispiel ist die Warschauer Kette Zapiecek, die sich von Anfang an auf Piroggen spezialisiert hatte. Entstanden ist sie genau in jener Zeit nach 2012. Heute stehen die Gäste von morgens bis abends an, um einen Sitzplatz zu bekommen. Piroggen waren plötzlich allgegenwärtig. Diese sind nämlich, in Abgrenzung zum Bigos, das, was wir uns unter einer florierenden Europäischen Union vorstellen, eine sichtbare Vielfalt in der Einheit. Die Pirogge sieht zwar stets gleich aus, aber die Füllung macht sie zu einem immer wieder individuellen Geschmackserlebnis. Polen wird auch nicht mehr vom deutschen Tourismus dominiert, weil der Städtetourismus wesentlich internationaler geworden ist. Touristische Gruppen ausserhalb von Deutschland kommen ohne des bäuerlich-ländlich dominierten Bildes aus den 90ern nach Polen. So sind sie auch viel intensiver von den Marketingprojekten der letzten Jahre beeinflusst. Und von Bigos ist dort keine Spur.
Alles hat mal ein Ende
Die Geschichte lehr uns, dass alles mal ein Ende hat. Sicherlich wird die Dominanz der Piroggen irgendwann zu Ende gehen. Oder auch nicht? Welches Gericht dann das Zepter übernimmt, bleibt zunächst ein Geheimnis. Wichtig ist, dass sich etwas tut. Polen entwickelt sich und vor allem entdeckt sich aufs Neue. Die kommunistische Epoche hat dem Land in nahezu allen Bereichen großes Leid zugefügt. Aber der Selbstheilungsprozess ist in vollem Gange und das auch zum Vorteil der Gäste und Touristen.
Piroggen in Warschau
Wie oben erwähnt ist das Piroggenrestaurant Zapiecek eine gute Wahl, um hervorragende Piroggen zu verspeisen. Eine touristische Übersicht findet Ihr unter dem folgendem Link, der Euch zum Warschauer Online-Stadtführer auf Deutsch weiterleitet:
Beitragsbild: Pixabay Maria_Domnina
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