Offizielle Statistik vs. Realität
Statistik
Am 24.04.2018 hat das Statistikamt in Warschau (Urząd Statystyczny w Warszawie) eine Übersicht über die Einwohnerzahl der Stadt veröffentlicht. In Warschau wohnten demnach am 30. Juni 2017 insgesamt 1 758 143 Menschen. Das waren 4143 Einwohner mehr als im Jahr zuvor.
Zusätzlich waren 49 566 Menschen mit vorübergehender Anmeldung registriert. Zu der Unterscheidung zwischen diesen und den dauerhaft gemeldeten gibt es später eine Erläuterung.
Der Ausländeranteil im Verhältnis zur Einwohnerzahl vom 30. Juni 2017 lag bei ca. 1,46 Prozent. Die Stadtverwaltung hat Mitte 2017 angegeben, dass in Warschau am 10. Juli 2017 insgesamt 25 607 Menschen aus 147 Ländern registriert waren (dauerhaft oder vorübergehend). Es handelt sich dabei natürlich nur um diejenigen, die legal und offiziell in der Stadt leben. Es ist jedoch nicht klar, ob die Gruppe in der Einwohnerzahl inbegriffen ist oder nicht (Quelle: Schreiben des Stadtratsmitglieds Michal Czaykowski mit einer Auflistung nach Herkunftsland). Die TOP-10 der Herkunftsländer sieht wie folgt aus:
Die Statistik ist das Eine. Doch irgendwie spüren alle, dass es hier hinsichtlich der offiziellen Statistiken nicht ganz mit rechten Dingen zugeht. Es liegt allein an der Tatsache, dass in Warschau an jeder Ecke neue Wohnungen entstehen und auch im Hinblick auf die Ausländer sind sich alle einig, dass es wesentlich mehr sein müssen. Wieso verändert sich die Einwohnerzahl nicht? Warum sagen einige sogar voraus, dass Warschau in den nächsten Jahren sogar weniger Bewohner haben wird?
Realität
Die Realität sieht nämlich ganz anders aus. Man muss kein Wissenschaftler oder Statistikamt-Mitarbeiter sein, um zu merken, dass an den Statistiken irgendetwas faul ist. Wenn man nämlich durch Warschau fährt, dann fallen nicht nur die Baustellen der Bürogebäude sofort ins Auge, sondern auch die neuen riesigen Wohnviertel am Rande der Stadt. So geschehen im neuen Wohnviertel im Stadtteil Wilanów im Süden der Stadt. Vor etwas mehr als 10 Jahren hat man begonnen auf der Grünen Wiese niedrige Wohngebäude nebeneinander zu bauen. Mittlerweile leben dort 10.000 Menschen und es werden von Jahr zu Jahr immer mehr. Wilanów war vor dem ersten Spatenstich bekannt für den schönen barocken Wilanów-Palast. Jetzt denkt man direkt an den Wohnbezirk der neuen Warschauer Mittelschicht.
Wilanów ist längst nicht die einzige Ecke, wo die Anzahl neuer Wohngebäude rasant steigt. 25% des Stadtteils Ursus befindet sich im Umbau, im ehemals grünen Stadtteil Białołęka leben mittlerweile 10 Mal mehr Menschen als vor 15 Jahren.
Die Nicht-Angemeldeten
Bei all den Artikeln über die Zukunft Warschaus, die Einwoherzahlen und die damit einhergehenden Probleme werden oft diejenigen nicht mit einbezogen, die zwar in Warschau leben und arbeiten, aber nicht angemeldet sind. Und hier folgt eine Erklärung, die nicht so leicht zu verstehen ist
Meldepflicht in der Praxis
Natürlich gab es auch in Polen eine Meldepflicht (bis 2018). Wenn man also in Polen länger als 3 Monate verweilt, dann muss man sich beim entsprechenden Bürgeramt anmelden. Bei der folgenden Erklärung will ich mich allerdings nur auf die polnischen Staatsbürger beschränken.
Auf dem polnischen Personalausweis steht auf der Rückseite eine Adresse. Das kann allerdings nur die sein, die angibt, wo man dauerhaft angemeldet ist. Nun ist dort in den meisten Fällen die Adresse des Elternhauses angegeben. Wenn man nun beispielsweise von Kielce nach Warschau zieht, dann behält man die Meldeadresse des Elternhauses einfach bei. Man kann sich trorzdem als vorübergehender Bewohner der Stadt anmelden, doch das ist den meisten zu umständlich. Der neue Bewohner der Stadt gibt jedoch bei der Registrierung seines Autos, bei der Unterzeichnung von Verträgen oder auch bei der Bank zum eine diejenige Adresse an, die sich auf dem Personalausweis befindet, aber zum anderen eine weitere Adresse für den Schriftverkehr an. Daher gehen auch die Briefe zwar nicht verloren, doch verursacht es dennoch ein Durcheinander, wenn jemand gesucht wird, weil er auf etwaige Briefe nicht reagiert. Ist er nun in Kielce oder in Warscha? Ist er vielleicht umgezogen und hat vergessen die Adresse zu ändern?
Die Konsequenz dieser üblichen Praxis ist, dass die neuen Bürger Warschaus bei der Volkszählung als Bewohner ihrer Elternhäuser gezählt werden.
So kommt man zu dem unglaublichen Verhältnis von 1,4 Mio registrierten Autos zu 1,7 Mio angemeldeten Bewohnern in der polnischen Hauptstadt. Dafür haben andere Gemeinden viel mehr Einwohner, als dort tatsächlich wohnen.
Tatsächlich spricht man also von ca. 2,2 bis 2,5 Mio. Einwohnern. Geplant sind nach aktuellen Bebauungsplänen +/- 3 Millionen Einwohner. Würde Warschau ihre tatsächlice Einwohnerzahl z.B. auf Wikipedia eintragen, dann würde die Stadt zu den 5 größten Städten der EU gehören. So liegt Warschau auf Platz 9.
Auf www.citypopulation.de kann man eine Landkarte sehen, wie die Bevölkerungsverteilung, Dichte und offizielle Bevölkerungszahl in Warschau aussieht. Wie gesagt – die Realität ist oftmals eine ganz andere!
Historische Einwohnerzahlen
14. bis 18. Jarhundert
Warschau wurde erst im 14 . Jahrhundert gegründet und blieb lange Zeit eine relativ unbedeutende Stadt an der Weichsel.
Erst gegen Ende des 16. Jahrhundert begann der langsame aber sichere Aufstieg zu einem wirtschaftlichen, kulturellen wie gesellschaftlichen Zentrum im polnischen Königreich. Ein Jahr vor dem Tod des letzten Jagiellonenkönigs Sigismund II. August wurde in Lublin die Realunion zwischen Litauen und Polen begründet. Die Könige sollten fortan vom polnischen Adel in Warschau gewählt werden. Warschau sollte auch Tagunsort des Sejm werden.
Während solcher Wahlen (die erste fand 1573 statt) wuchs die Einwohnerzahl um ein Vielfaches. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts hatte Warschau ca. 18.000 – 20.000 Einwohner.
1596 verlegte Sigismund III. Wasa seinen Hof nach Warschau. Krakau blieb dennoch offiziell bis zur Verfassung vom 3. Mai 1791 Hauptstadt des Königreiches, somit auch Krönungsort und Begräbnisstätte der polnischen Könige. Samt Hof wurde auch der Senat und später auch der Sejmsaal nach Warschau verlegt. Unmittelbare Folge dessen war somit auch der Bau zahlreicher Residenzen und Paläste entlang des Königstraktes (Krakowskie-Przedmiescie-Straße).
Ein Einbruch der Einwohnerzahl erfolgte während des polnisch-schwedischen Krieges von 1655 bis 1660. Fast die ganze Stadt wurde damals geplündert und zerstört.
Kurz vor der 3. Polnischen Teilung im Jahre 1795 hatte Warschau ca. 120.000 Einwohner. Nach der letzten Teilung und löschung Polens von der europäischen Landkarte wurde die einst stolze Hauptstadt zu einer Provinzstadt ohne große Bedeutung.
19. Jahrhundert bis zum 1. Weltkrieg
Im Zeitalter der Industrialisierung wuchs die Stadt insbesondere in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Gegen Ende des 19. Jahrhundert hatte Warschau schon über 650.000 Einwohner. Kurz vor Ausbruch des 1. Weltkrieges wuchs die Zahl noch auf über 800.000 Einwohner.
1. Weltkrieg
Beim Ausbruch des Krieges unterstand Warschau der russischen Verwaltungsmacht. Am 4. August verließen die russischen Soldaten die Stadt und sprengten hinter sich alle Brücken in die Luft. Am 5. August marschierten aus der anderen Seite die deutschen Truppen ein und übernahmen sofort die Verwaltung der Stadt. Am 10. November 1918 wurde Józef Piłsudski am Bahnhof empfangen. Einen Tag später war Polen offiziell ein unabhängiger Staat, welches für sein eigenes Los verantwortlich ist.
Der Krieg führt zu erheblichen Schwankungen in den Einwohnerzahlen. Sei es durch unmittelbare Kriegshandlungen, Krankheiten und Epidemien.
- 1914: 884.000 Einwohner
- 1916: 780.000 Einwohner
- 1918: 660.000 Einwohner
Zwischenkriegszeit
1925 lebten zum ersten Mal mehr als eine Million Menschen in der polnischen Hauptstadt. Bis 1939 wuchs die Zahl auf 1,3 Millionen Einwohner. Ca. 350.000 davon waren Juden.
2. Weltkrieg
Durch die Ermordung der Warschauer Juden 1942-1943 und 180.000 ziviler Opfer während des Warschauer Aufstandes verlor allein Warschau fast 500.000 Menschen während des 2. Weltkrieges. Nach der Vertreibung von 690.000 Menschen nach dem Warschauer Aufstandes lebten in Warschau links von der Weichsel nur noch knapp 10.000-20.000 Menschen. Die Stadt war völlig zerstört und es wurde sogar überlegt die Hauptstadt nach Łódź zu verlegen.
Nach dem 2. Weltkrieg bis heute
Erst 1955 erreichte Warschau wieder die 1-Millionen-Marke. Durch zahlreiche Gebietserweiterungen erreichte die Stadt nach 2005 die heutige Einwohnerzahl von 1,7 Millionen (laut Statistik).
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