Politik

Lang lebe die Ukraine! Slawa Ukrajini!

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Am Tag, als Putin die Unabhängigkeit der Pseudo-Republiken Donezk und Lugansk anerkannte, schrieb mir mein Freund Lukasz eine Nachricht, dass ich in meinem Tagebuch festhalten soll, was ich zur besagten Zeit getrieben habe. Er meinte, dass unsere Kinder und Enkel genau diesen Tag nachschlagen werden. Mein Eintrag lautet „Ich trainiere im Fitnessstudio. Bauchmuskelübungen. Putin hat die Republiken Donezk und Lugansk anerkannt. Im Fernsehen sprechen alle von Krieg. Russland soll in den nächsten Tagen die Ukraine überfallen und bereitet einen casus belli vor. Es wird eine schnelle Aktion und ein Machtwechsel in Kiew erwartet.“

Die Welt ist eine andere

Heute ist Montag, eine Woche später. Die mir bekannte Welt hat in kurzer Zeit ihr Antlitz verändert. Manchmal habe ich das Gefühl, dass die neue Realität nur ein Traum ist. Vielleicht wurden wir am Donnerstag um 4 Uhr unbemerkt in eine Matrix geschleust und schlafen bloß noch?

Bis zu 50 Tausend Flüchtlinge aus der Ukraine passieren täglich die Grenze nach Polen. Dort warten Polizei, Feuerwehr und Ärzte aber auch Privatpersonen mit ihren Autos mit der Aufschrift „4 Personen nach Warschau. Umsonst“. Ich bin von der Hilfsbereitschaft der Polen überwältigt. Man hört kein Murren, die Hilfe wird nicht relativiert, sie wird nicht infrage gestellt. Allen ist bewusst, dass die Zukunft Entbehrungen nach sich ziehen wird. Es sind die Bewohner dieses Landes, die das abstruse Vorgehen der Regierung während der Flüchtlingskrise Ende 2021 an der polnisch-weißrussischen Grenze ausbaden. Lobenswert ist allerdings Organisation und Zusammenarbeit der staatlichen Institutionen und der NGO. Es regt jedoch zum Nachdenken an, dass die Geflüchteten aus der Ukraine zum Großteil aus Frauen und Kindern bestehen. Die Männer sind dort, wo man sie erwartet.

Slawa Ukrajini!

Unser Seele, unser Lied, wird nicht sterben, wird nicht verschwinden … Darin, Leute, liegt unser Ruhm … Ruhm der Ukraine!

Taras Schewtschenko, ukrainischer Nationaldichter, 1840

Herzzerreißend sind die Bilder aus Kiew, Charkow und anderen stark bekämften Städten. Erfreulich sind die militärischen Erfolge der ukrainischen Armee. Das Selbstbewusstsein der Soldaten ist vielversprechend und hat durch die Worte „Idi na chuj“ weltruhm erlangt. Die Kampfmoral der Ukrainer will ich besonders hervorheben. Es wurde oftmals bezweifelt, ob die ukrainische Armee nicht zu den Russen überläuft, wie es 2014 in der Krim geschah. Dank Putin haben sich die Ukrainer seit 2014, in nur 8 Jahren, zur unermesslichen Einheit emporgearbeitet. Und dieser Präsident Zelenski! Ausgelacht hat man den Komiker und jetzt erst sieht man die eigenen drei Finger, die auf einen selbst zeigen! Was ist er in nur einer Woche gewachsen. Ich werde ihn in Ehren halten und auf der ganzen Welt preisen. Auf der anderen Seite haben wir die verehrten Politiker der Appeasement-Politik 2.0. Du meine Güte! Wie oft kann man denn professionelle Scheinheiligkeit betreiben und hoffen, dass es erneut gut geht! Am Samstag war ich fassungslos. Ich habe an eine blitzschnelle Reaktion der westeuropäischen Regierungen geglaubt. Ich war von ihrer moralischen Überlegenheit und Wirkungskraft überzeugt. Polen hat in den letzten Jahren viel falsch gemacht. Aber die Konflikte mit Brüssel schienen für mich eine vorübergehende Diskrepanz, die sich in kürze (lies: in einigen Jahren) zugunsten eines gemeinsame, starken Europa lösen würden. Für mich existierte keine Gleichzeitigkeit in der Geschichte und das war der einzige Grund, warum ich der polnischen Regierung die begangenen Fehler verzieh. Aber wie konnte es passieren, dass Westeuropa einen Tag nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine begann alles zu relativieren? Wieso sprach Europa plötzlich so viel über Geld, ökonomische Verluste und (unnötige) kostspielige Aufopferung? Zwei Tage hat Europa gebraucht, um eine Einheit zu schaffen. Am meisten bin ich von Deutschland enttäuscht. Was war da los, liebes Deutschland? Du hast gezögert, verhandelt, kalkuliert, relativiert und absurde Ausreden in die Welt gesendet! Schließlich wolltest du 5000 Helme in den Osten schicken. Das kann doch niemand ernst gemeint haben! Damit hast du dem Image der EU unglaublich viel Schaden zugefügt, weil viele, und auch ich, so viel von der viertgrößten Wirtschaftsmacht der Welt erwartet haben. Du hast Schwäche gezeigt. Und Schwäche zieht leider Unglück an. Es hat mich beschämt, wie Europa in dieser Zeit der Probe reagiert hatte. Der europäische Gedanke hat nun sehr viel Risse, die in Zukunft einer harten Probe unterstellt werden. Werden die Risse halten oder durchreißen? Die Zeit der Abrechnung wird noch kommen.

Wodka ist kein russisches Wort

Umso glücklicher bin ich über die Reaktionen der deutschen Bevölkerung und Medienwelt, die die Regierung aus der Patsche geholfen haben. Es gingen Bilder von Berlin durch die Welt. Und ja, nun hat sich auch Scholz besinnt, aber die Frage bleibt: was hattet ihr am Anfang vor? Wolltet ihr Euch stillschweigend aus der Sache raushalten? So viele Jahre schon hat der Westen naiv geglaubt, dass man mit Russland unendlich lang Handel treiben. Jetzt ist es Zeit ,dafür zu bezahlen. Wer auf das falsche Pferd setzt, kann sich nach dem Rennen an der Kasse nicht plötzlich zurückziehen.

Der Osten Europas muss endlich näher in den Mittelpunkt des Interesses rücken. Es wird Zeit die Osteuropaforschung nach vorne zu treiben. Der Osten, das ist nicht Russland! In der Zeit des Kalten Krieges hat man den Osten einfach in einen Sack geworfen und alles was einen Ursprung im Osten hatte, war russisch. So gibt der Duden an, dass Wodka ein russisches Wort ist. Sogar die Russen geben in ihren Fremdwörterbüchern an, dass es ein polnisches Wort ist. Als ob es dort nur eine Kultur gäbe. Die Westeuropäer müssen lernen, sehr viel über den Osten lernen. Litauen, Ukraine oder Polen haben jahrhundertealte Traditionen und Eigenheiten und zum Teil eine weit in Vergangenheit reichende Staatsgeschichte. Schon mal etwas vom Großfürstentum Litauen gehört? Über die Rzeczpospolita, die Königliche Republik Polen-Litauen? Inflanty? Kennt jemand die Geschichte der Kosaken? Was war Russland vor Peter dem Großen und wie geschah es, dass polnische Truppen 1610 Moskau einnahmen? Ohne Osteuropa ist Europa nur die Hälfte. Und bitte nicht immer nur auf das Bruttosozialprodukt schauen. Es gibt auch andere Maßstäbe.

Antoni Administrator
Europäer mit polnischem Herz und deutschem Hirn! Eigentümer des Touristikunternehmens Walking Poland Group, lizenzierter Stadtführer in Warschau, Fotograf, Jurist (1. Staatsexamen), Redakteur
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Antoni Administrator
Europäer mit polnischem Herz und deutschem Hirn! Eigentümer des Touristikunternehmens Walking Poland Group, lizenzierter Stadtführer in Warschau, Fotograf, Jurist (1. Staatsexamen), Redakteur

Kommentare(1)

  1. Ach Du lieber Antoni, …

    das Problem mit den Deutschen.

    Warum sind diese Deutsche denn so, wie sie sind. Zögerlich, kalkulierend, relativierend von außen gesehen absurd. Uns steckt etwas in den Knochen und da sind sich Ost und West einig. Wir sind schuld an dem furchtbarsten Krieg der Menschheitsgeschichte. Und das steckt noch tief körperlich in uns. Ich sehe meinen Vater, der nie fest auftreten konnte, wenn irgend etwas unter seinen Füssen ihm nicht geheuer vorkam. Der fiel eher um, als das er zutrat. Angst vor Minen. Mein Schwager lief in der Aufwachphase nach seiner OP in Panik über den Krankenhausflur, weil er die Verschüttung in den Bombennächten wieder duchgelebt hatte. Ich habe meinem Sohn die Spielzeugpistole weggenommen. Nie wieder eine Waffe in unseren Händen. Glaub nicht, dass das sich auf Kommando ändert. Das ist ein schwieriger und harter Erkenntnisprozess.

    Russland: Ich teile Deine Ansicht, die russische Gesellschaft ist absolut korrupt, brutal, verlogen, machtbesessenen. Wer das genauer nachlesen will, dem empfehle ich das Buch „Nomenklatura. Die herrschende Klasse der Sowjetunion.“ von Michail Sergejewitsch Woslenski. Polen hat vor dieser Umformung durch die Nomenklatura die Verachtung der Obrigkeit geschützt. Deutschland, und das wird kaum jemand richtig hören wollen, die deutsche Bürokratie. Klar einerseits haben die Russen diese genutzt um die DDR auszubeuten, aber zum anderen hat sie auch vor den schlimmsten Auswirkungen der Russen geschützt. Bei aller Meckerei über den Staat und die Bürokratie sie funktionieren und sie schützen. Die Stadt Rostock ruft seine Bürger auf zu Spenden (Medikamente, Babynahrung, usw.), Wohnraum bereitzustellen und Schichten zum Empfang der Flüchtlinge zu leisten. Und wie gesagt, es funktioniert. Die Wohnungen werden durch die Stadt begutachtet (Die Räume müssen abgeschlossen und abschließbar sein) und verteilt.

    Ukraine: Aber die Nomenklatura herrschte genauso in der Ukraine. Ich glaube nicht, dass es diese Nomenklatura in der Ukraine nicht mehr gibt, aber offensichtlich gibt es ein Leben mit dieser. Und das gibt mir dann doch wieder Hoffnung für Russland.

    Als letztes, reg dich nicht auf, wenn es unsachliche gegen Deine Person gerichtete Anfeindungen gibt. Dein Blog ist in Ordnung, so wie er ist. Du bist in Ordnung, so wie Du bist. Mach das, was ein Baum tut, wenn sich ein Schw… an ihm kratzt.

    Mit herzliche Grüßen aus Rostock

    Bernd Garrels

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