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Nationalstolz ist keine Todsünde

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Beim Thema Nationalstolz kennt der Deutsche keinen Spaß. Selbst in Diskussionen mit anderen Deutschen über Nationalismus, Patriotismus und Identität sind wir uns selten einig, wie diese Begriffe voneinander zu unterscheiden sind. Ein gegenseitiges Verständnis ist in seltenen Fällen zu finden. Diese Tatsache würde mich nicht wundern, wenn sie sich in den letzten 10 bis 15 Jahren nicht gravierend verändert hätte. Wenn ich heutzutage gelegentlich und beiläufig erwähne, dass ich stolz auf mein Herkunftsland Polen bin, kann es vorkommen, dass ich als Nationalist oder Faschist abgestempelt werde.

Für einige andere gilt die Vaterlandsliebe sogar als Todsünde.

Darüber bin ich persönlich entsetzt. Nicht, dass hier nun ein Plädoyer folgen soll, was denn nun richtig oder falsch, wünschenswert oder zu bekämpfen sei. Vielmehr versetzt mich das in meine Jugendzeit zurück, als ich etwa 16 Jahre alt war und mich nicht nur mit der Liebe, sondern auch mit der Frage beschäftigte, wer ich eigentlich bin und woher ich stamme. Die Liebe ist ein universelles Thema, und weltweit spielen sich dieselben Komödien, Dramen und Wundergeschichten ab. Aber bei der Identität und Herkunft ist jeder in seinen Lebenserforschungen geografisch begrenzt. Die Erklärung, dass wir alle Planetarier seien, bringt mir wirklich nichts. Nichts!

Die freie Menschlichkeit

Ich bin in dem kleinen Städtchen Unna in Nordrhein-Westfalen am Rande des Ruhrgebiets aufgewachsen. Mein Geburtsort liegt etwa 1000 Kilometer weiter östlich in Pyskowice. Unweit davon, in einem von Wäldern umgebenen Dorf namens Swibie, habe ich die ersten 5 Jahre meines Lebens verbracht. Das alles wird jedoch irrelevant, wenn die Kindheitserlebnisse sich allmählich vom Sandkasten zwischen zwei Wohnblocks zur Schulzeit verschieben. Polen oder Deutschland, Pole oder Deutscher, in den frühen Lebensjahren ist all das unwichtig. Doch mit der Zeit wird die Welt größer, und man muss seinen eigenen Platz darin finden. Es gibt Genies, die uns glaubhaft machen wollen, dass das höchste Ziel darin besteht, sich zur freien Menschlichkeit zu entwickeln (Friedrich Schiller, Goethe). Unter ihnen gibt es auch solche, die sich erst spät zu patriotischen Überzeugungen bekennen, wie Humboldt, oder sogar solche, die den Nationalstolz ablehnen, wie Schopenhauer, der definitiv zu viel studiert, aber zu wenig gelebt hatte. Doch das sind vergangene Zeiten, und damals taten sich die Deutschen tatsächlich schwer mit ihrer eigenen Identität und Nationalzugehörigkeit. Es ist mittlerweile bekannt, dass die Deutschen ein gewisses Fingerspitzengefühl für derartige kulturelle Projekte nicht unbedingt besaßen und immer noch nicht besitzen. Dennoch ist es fatal, andere an den eigenen Errungenschaften, Erfahrungen und Unfähigkeiten zu messen. Wenn Schiller, Goethe und Humboldt mit Adam Mickiewicz, Juliusz Slowacki und Frédéric Chopin an einem Tisch sitzen würden, kämen sie bei dem Thema der Nation wahrscheinlich zu keinem sinnvollen Ergebnis.

Von Zugehörigkeit keine Spur

So umgaben mich die Ideen der freien Menschlichkeit, oder wie man sie heute nennen würde, die Ideen der Planetarier, und lieferten mir keine Antworten auf meine Fragen. Es waren Floskeln ohne Inhalt. Ich suchte meinen Platz in der Welt, und diese Ideen boten mir eine leere Leinwand. Aber die Suche ging weiter. Während meiner Schul- und Studienzeit nahm ich an Eröffnungszeremonien teil, in meiner Freizeit ging ich ins Stadion. Doch von Zugehörigkeit war kaum eine Spur zu finden. Ich erinnere mich zum Beispiel nur an den Willkommensbrief der Universität mit dem Überweisungsträger für die Studiengebühren.

Nationale Identität schafft Dynamik

Genau in diesem Moment, als ich im Alter von 16 Jahren meine Suche begann, fuhr ich in den alljährlichen Sommerferien für viele Wochen nach Polen. Plötzlich hatte ich das Gefühl, in eine neuzeitliche Ära des Sturm und Drang geraten zu sein. Mädchen und Jungen, später

Männer und Frauen, diskutierten über das nationale Bewusstsein, das persönliche Dasein im Kosmos, und all das berührte die eigene nationale Identität. Mein Herz begann zu schlagen. Es entstand eine Dynamik, wie ich sie zuvor kaum gekannt hatte. Plötzlich hatte ich eine Verbindung zur Geschichte, zu weit zurückliegenden Vorfahren und ihren Errungenschaften. Das wiederum schuf eine soziale Aufgabe und gesellschaftliche Verantwortung. Letztendlich wurde mir klar, woher ich kam und wohin ich gehen wollte.

Nicht Stolz ist eine Todsünde, sondern der Hochmut. Nationalstolz kann natürlich, wenn er in die falsche Richtung gelenkt wird, auf einen nationalistischen Pfad führen. Aber es ist ein logischer Fehler zu behaupten, dass Nationalstolz per se nationalistische Tendenzen hat.

George Orwell hat in seinem kurzen Werk über Nationalismus am Anfang klargestellt, dass dieser nicht mit Patriotismus verwechselt werden sollte. Zugleich hat er bestimmte Merkmale wie Obsession, Instabilität und Realitätsferne mit dem Nationalismus verbunden. Grundsätzlich ist Nationalismus und Nationalstolz strikt voneinander zu trennen. Allein das Wort „National“ ist für viele Deutsche schon unerträglich. Aber so sehr ich die deutsche Einstellung nachvollziehen kann, betrachte ich es als einen Fehler, sie anderen aufzuzwingen. Viele Deutsche sehen das schwindende Nationalbewusstsein als universellen Fortschritt an. Wer jetzt noch Nationalstolz, Patriotismus oder eine nationale Zugehörigkeit lobt, wird in den Augen vieler Deutscher als rückständig und fremdenfeindlich angesehen. Ich betone es nochmals: Das ist ein großer Fehler!

Den Nationalstolz lassen wir uns nicht nehmen

Nationalstolz ist nichts, was man patentieren oder anderen verbieten kann. Daher nutzen Fußball-Hooligans Parolen oft für ihre zweifelhaften Zwecke. Auch diejenigen, die nationalistisch gesinnt sind, sind stolz auf ihre Nation, die sie oft nur auf bestimmte Gruppen beziehen. Aber das sollte kein Grund sein, nicht stolz auf unsere Vorfahren, ihre Errungenschaften und Ziele zu sein. Nationalstolz kann nicht einfach wegdiskutiert oder ignoriert werden. Andere werden es sonst übernehmen und für ihre eigenen Zwecke verwenden. Hier sehe ich eine Verantwortung für politische und kulturelle Eliten, diesen Kampf aufzunehmen und zu gewinnen. Ein Volk ohne Geschichte ist auf eine Wiederholung angewiesen. Und wer die Geschichte kennt, weiß, was das bedeutet.

Ich bin lediglich umgezogen. Andere werden bleiben. Der Rest liegt in unseren Händen.

Antoni Administrator
Europäer mit polnischem Herz und deutschem Hirn! Eigentümer des Touristikunternehmens Walking Poland Group, lizenzierter Stadtführer in Warschau, Fotograf, Jurist (1. Staatsexamen), Redakteur
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