Feuilleton

Kaczynski, ein Oligarch ohne Bankkonto

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Politiker abzuhören ist in Polen mittlerweile zum Volkssport aufgestiegen. Die Einschaltquoten sind dabei schon höher als beim Skispringen. Nun hat es auch den unantastbaren Herrn Kaczynski erwischt. Der Vorsitzende der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), Entscheidungsträger in nahezu allen Bereich des gesellschaftlichen wie politischen Lebens, der Mann, der entscheidet, wer Pole und wer nur zweite Kategorie ist, wurde auf perfide Art und Weise abgehört. Ausgerechnet seine Lieblingszeitung Gazeta Wyborcza (ironisch gemeint) hat die Aufnahmen vor ein paar Tagen veröffentlicht. Ist ja sonst nichts los in Kaczynskistan. 

Der Unbestechliche

Im Grunde geht es darum, dass Herr Kaczynski stets mahnend den Finger hob, dass man in die Politik gehe, um dem Volk zu dienen. Geschäfte zu tätigen ist für die Staatsdiener tabu. Insbesondere dürfen die Parteien keiner wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen. Schließlich werden sie ohnehin vom Staat finanziert. Es schien auch, als sei Herr Kaczynski seiner Devise stets treu geblieben. In vielen Kreisen hatte er den Spitznamen „der Unbestechliche“. Er schuf ein mythologisches Bild seiner selbst, ein Mann des Volkes, ein ergebener Staatsdiener, ein Vorbild. Er besitzt nicht viel, hat keine Kinder, keine Frau, noch nicht einmal ein Bankkonto. Wofür denn auch? Schließlich ist er ein Revolutionär und Revolutionäre sind Menschen, die keine Gefühle, Bestrebungen, Eigentum, und auch keinen Namen haben. Vor allen Dingen gehen sie keinen Interessen nach, denn all das verschlingt die Revolution. Herr Kaczynski schien wie Robbespiere unbestechlich, ein Sklave seiner Lebensaufgabe, welcher er seit den 80ern nachgeht. Revolutionäre haben nämlich eine negative Eigenschaft: für sie hört die Revolution nie auf!

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Was darf es denn sein?

Die Firma Srebrna will an der Srebrna-Straße auf ihrem Grundstück zwei Wolkenkratzer bauen. In dieses Großprojekt ist auch ein österreichischer Geschäftsmann involviert, welcher für seine bisherigen Leistungen ein Entgelt verlangt. Doch Herr Kaczynski ist damit nicht ganz einverstanden. Stopp – natürlich ist der Vorstand der Firma Srebrna nicht einverstanden. Herr Kaczynski ist nämlich in keine Geschäfte dieser Art verwickelt, nicht wahr? Nun also gibt es hier einen typischen und allzu normalen Konflikt rechtlicher Natur.

Doch warum hat Herr Kaczynski einen so großen Anteil an diesem Geschäftsverkehr? Er ist doch Abgeordneter und Vorsitzender einer Partei. Wie kommt die Firma Srebrna überhaupt zur Möglichkeit einen Kredit iHv. 1,3 Milliarden PLN zu erhalten? Vor einiger Zeit wurde die Bank Pekao SA verstaatlicht. Ist das alles wirklich so einfach? Man verstaatlicht eine Bank und lässt sie Kredite an „wohlwollende“ Firmen verteilen? So klingen zumindest die Beschuldigungen der Opposition seit Veröffentlichung der Aufzeichnungen.

Herr Kaczynski hat sich eine private Republik geschaffen, die ihn mit all dem versorgt, was er nicht hat. Lediglich die Liebe bleibt ihm verwehrt.

Ende eines Mythos

Es geht letzten Endes auch gar nicht um das viele Geld und die Vernetzung der Politwelt mit der Wirtschaft. Schließlich ist es für niemanden etwas neues, dass die Politiker den Staat wie eine Milchkuh leermelken. Anschließend geht es weiter nach Brüssel. Vielmehr schwindet die Aura des Unbestechlichen, des Größten Patrioten Polens zwischen Chicago und Moskau. War er bisher ein Idealist, ein Revolutionär, wenn auch ohne politischen Realitätssinn, so ist er nun noch nicht mal mehr das. Ab sofort ist er ein Niemand und doch Jemand, der einer politischen Selbst-Degradierung unterlag. So politisch unerfahren war nicht mal Lech Walesa, obwohl jener den größten Fehler seines Lebens begann, als er sich zum Präsidenten von Polen wählen ließ.

Kaczynski „der Glückliche“

Es ist endlich der einschneidende Beweis geliefert worden, dass seine politischen Erfolge auf der Schwäche seiner politischen Gegner und nicht auf einem imaginären Mythos basieren, der von seinen Anhängern voller Hingabe verteidigt wird. Doch was ist das schon für ein Sieg, wenn der Gegner vorab Selbstmord begeht? Die Bürgerplattform, der einzige politische Gegner der regierenden PiS, ist wie ein Zombie, der nur seltsame Töne von sich gibt. Große (Staats)-männer werden in harten Zeiten geboren. Jozef Pilsudski, Lech Walesa oder Johannes Paul II.  – sie waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort! Jedes Jahrzehnt hat seine eigenen Regeln und folgt eigenen Gesetzen. Die meisten Menschen werden von der Zeit überholt. Einige sind der Zeit sogar voraus. Herr Kaczynski lebt in seiner eigenen Welt und ergötzt sich daran, eine Republik geschaffen zu haben, welche wir einst Volksrepublik Polen genannt hatten und die für die meisten 1989 zu Ende gegangen ist. Herr Kaczynski hatte im Wahljahr 2015 das große Glück, dass die Gesellschaften Europas einen Ruck nach rechts gemacht haben und die Opposition siegessicher vergessen hat ein Wahlprogramm aufzustellen (die Demenz hält übrigens immer noch an).

Jetzt wo das Scheinheiligtum des Vorsitzenden Kaczynski erloschen ist, kann er sich ja ein Bankkonto anlegen. Die Bank hat er ja schon.

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Beitragsbild: Kaczynski von thierry ehrmann via flickr [CC BY 2.0]

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Antoni Administrator
Europäer mit polnischem Herz und deutschem Hirn! Eigentümer des Touristikunternehmens Walking Poland Group, lizenzierter Stadtführer in Warschau, Fotograf, Jurist (1. Staatsexamen), Redakteur
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